Über die Berge an die See
Nach 5 tollen Tagen voller interessanter Begegnungen in einer spannenden Stadt zieht es uns weiter Richtung Meer, wo wir eigentlich schon die ganze Zeit wieder hin wollten. Wir unterbrechen wie 7-stündige ruppige Bergfahrt im Collectivo (Kleinbus) in der Mitte und machen Halt im beschaulichen San José del Pacífico, einem kleinen Ort in den Bergen. Mit unserer Unterkunft landen wir einen Volltreffer und fühlen uns sofort wohl im Zimmer mit Balkon, Bergblick und frischer Bergluft von ca. 22 Grad. Abends machen wir sogar den Ofen im Zimmer an, der ein knisterndes Kaminfeuer imitiert. Wahnsinn, wie schnell das Klima so anders sein kann. An triefige Hitze erinnert hier gar nichts mehr.
Die Hitze lässt aber nicht lange auf sich warten, als wir am nächsten Tag den zweiten Teil unserer Busfahrt gen Pazifik antreten. Nach einem leckeren lokalen Frühstück aus Bohnenmus, Spiegelei und Salat geht es im klimatisierten Colectivo weiter und wir haben wieder Glück, dass wir Plätze im vorderen Teil hinter dem Fahrer bekommen, wo es am wenigsten holprig ist. Es geht allerdings kaum 50 Meter geradeaus, stattdessen legt sich der Fahrer mit ordentlich Speed in die Kurven und mein Magen sich mit ihm. Drei von vier Reisetabletten für die Fahrt sind bereits geschluckt und mit Händen und Füßen klemme ich mich so gut es geht im Sitz fest, um nicht andauernd irgendwo anzustoßen.
Die zunehmende Anzahl an Palmen und Bananenbäumen (manche mit prächtig gefüllten Stauden 🍌🤩) lässt schon erahnen, was sich beim nächsten Zwischenstopp bestätigt, als neben mir die Seitentür geöffnet wird. Wie wenn die Tür zur Dampfsauna aufgeht, schlägt mir feuchte Hitze direkt ins Gesicht. Unglaublich, nur wenige hundert Meter Höhenunterschied machen so einen dramatischen Unterschied. Willkommen zurück im Schweiß 🥵.
Wir steigen noch einmal um, sagen dem Fahrer, wo wir hinwollen und weiter geht’s mit großem Bus über die Landstraße. Wie schon zuvor sind wir die einzigen Nicht-Mexikaner. Das gefällt mir (meistens) ganz gut. Dass die Scheiben sehr dunkel getönt sind und man schlecht rausgucken kann, bedauere ich nur kurz. Jeder Moment der direkten Sonneneinstrahlung ist wie ein Heizstrahler, der einem direkt vors Gesicht gehalten wird.
Playa Escobilla – Das mit den Schildkröten, oder?
Ein heißer Tipp war, auf dem Weg zum nächsten Ort an der Auffangstation für Schildkröten anzuhalten. Es sei ein 15km geschützter Strandbereich und täglich kämen 10-tausende Schildkröten, die bis zu 4 Millionen Eier ablegen, an einem Tag! Außerdem sei es sinnvoll, die Nacht dort vor Ort zu verbringen, um den bestmöglichen Zeitpunkt dafür abwarten zu können. Mit diesen Infos im Gepäck kommen wir also am Santuario de Tortugas Marinas an. Schon die Whatsapp-Konversation mit einem Mitarbeiter zuvor verlief ziemlich zäh und ich konnte ihm nur spärlich Infos entlocken. Das änderte sich vor Ort nicht. Dass wir jetzt ankommen und uns fragend umschauen, interessiert keinen so richtig.
Schließlich kommt eine Frau auf uns zu, wir setzen uns an den Tisch und kommen irgendwie auf spanisch zueinander, dass wir übernachten wollen und gerne die Schildkröten sehen möchten. Ich sage ihr, dass wir zum ersten Mal da sind und keine Ahnung vom Ablauf haben. Auch das interessiert sie anscheinend nicht weiter. Ich bekomme kurze Antworten (die ich meist auch nur halb verstehe), wenn ich eine Frage stelle. Sonst spricht niemand. Auch unser Zimmer für die Übernachtung macht diesem ersten Eindruck alle Ehre. Als einzige Gäste werden wir fernab der Rezeption in unsere Cabana (Bungalow) gebracht.
Der Kontrast zu unserem Aufenthalt in den Bergen hätte nicht größer sein können. Von frischer Luft, einem liebevoll eingerichteten Zimmer mit gehobener Ausstattung und Bergblick finden wir uns nun – ich habe Udo gefragt, wie er es nennen würde – in einem shabby und heruntergekommenen Zimmer wieder. Der Ventilator, der immerhin funktioniert, fühlt sich an, als ob der Saunameister nach dem Aufguss mit dem Handtuch wedelt.
Weit und breit gibt es nichts zu sehen oder zu tun. Bis auf einen klapprigen Stuhl vor der Tür auch keine Sitzmöglichkeit. Der Boden ist voller Ameisen. “Ich find’s hier doof”, fasse ich das Offensichtliche zusammen. Dabei erinnere ich mich daran, dass auf Reisen meistens etwas besonders Tolles passiert ist, kurz nachdem ich mich so richtig unwohl gefühlt habe. Ich bin daher gespannt. Schließlich sind wir in einer Stunde mit einem Guide verabredet, der mit uns zum Strand geht. Was dort passieren, wissen wir nicht.
Liberacion de Tortugas
Mit einem uralten Wagen gehts los. Durchs Fenster macht unser Guide Juan die Fahrertür auf, von außen geht das wohl nicht mehr. Er klappt die Lehne um, deutet uns aber Richtung Ladefläche, da sei es “mas cómodo” – bequemer. Na dann. Neben uns liegen ein loses Holzbrett und eine große Kokosnuss auf der Fläche, die Udo dankbarer Weise nach der ersten Kurve zwischen seine Füße klemmt. So rumpeln wir einige Minuten mit Wind und Staub im Gesicht zur nächsten Bucht und fühlen uns ganz abenteuerlich. Der Anfang gefällt uns schon mal.

Angekommen gehen wir mit Juan an einem von Dach und Netzen geschützten Bereich vorbei, der auf ersten Blick an einen Minifriedhof mit hunderten Gräbern erinnert. Nebeneinander in Reihe und Glied sind kleine Hügelchen zu sehen, an deren oberen Ende ein Holzpfahl mit Inschriften steht.
Juan erklärt uns, dass das die Auffangstation für die Schildkröteneier ist. Sie werden zum Schutz am Strand ausgegraben, und an dieser Stelle neu verbuddelt, bis sie schlüpfen. Angeschrieben stehen die Anzahl der Eier, das Ausgrabungsdatum, welche Schildkrötenart und welches Team sie gefunden hat. Wow, denken wir, als wir sehen, wie viiiieeeele von diesen Holzpfählen dort stehen. Das müssen einige tausend Eier sein. Und in jedem einzelnen wächst ein kleines Schildkrötchen heran und wird danach wieder in die Freiheit entlassen 🥰
Kaum ist dieser Gedanke zu Ende gedacht, geht auch schon die Tür auf und eine Frau drückt Juan eine Art Salatschüssel in die Hand – die voll ist mit kleinen krabbelnden und zappelnden Minischildkröten. Oooohhhh wiiiieeee süüüüüüüüß!!!!! Er winkt uns Richtung Meer und uns wird endlich mal klar, was für eine Tour wir überhaupt gerade machen: Wir lassen die kleinen jetzt ins Meer hinaus!
Gemeinsam gehen wir etwas abseits der Station an einen Strandabschnitt und Juan malt mit einem Stock eine Linie in den Sand. Hier sollen wir sie nacheinander rauslassen. Das Stück bis zum Wasser müssen die kleinen Schildis selbst schaffen, damit sie sich den Geruch vom Sand an dieser Stelle gut einprägen und in zehn Jahren selbst zum Eierlegen wieder hierher finden.
In kleinen Schälchen setzen Udo und ich nacheinander Gruppen von 5 Tierchen in den Sand. Außer uns ist nur noch Juan da, der mit Stöcken und Rufen bestmöglich die Vögel vertreibt, die schon auf ihr Sonnenuntergangsbuffet warten. Ein Schildkrötchen ist besonders flink unterwegs und schon nach kurzer Zeit fast an der Wasserkante angekommen. Und kaum angelangt, wird es von einer Möwe geschnappt, die damit davon fliegt 😣
“Es ist nicht immer gut, der schnellste zu sein”, fasst Udo das später nüchtern zusammen. Zum Glück sollte das das einzige Erfolgserlebnis der Vögel bleiben. Nach und nach krabbeln die kleinen Schildis über den ganzen Strandbereich und lassen sich im Schein des Sonnenuntergangs von den Wellen einfangen. Manche werden dabei wieder weiter Richtung Strand rausgetragen und müssen den ganzen Weg nochmal zum Wasser krabbeln. Die haben echt keinen einfachen Start ins Leben im Wasser.
Wie unglaublich schön dieser Moment ist, den wir beide zusammen in der Natur und mit den Tieren genießen können. Kein Lärm, keine Massen, kein Gedränge, keine Hetze. Nur das Meeresrauschen und ab und zu ein paar Rufe von Juan zum Vertreiben der Vögel, damit die kleinen Babys die besten Startmöglichkeiten im Meer bekommen. Als es schon fast ganz dunkel ist, erreichen die letzten Schildis das Wasser. Wir blicken uns noch einmal um, saugen alle Eindrücke tief auf und rappeln dann mit Juan wieder zurück zur Unterkunft.
Welcome back
Es ist 19 Uhr und stockdunkel. Niemand ist mehr zu sehen. Das Haus des Empfangsbereichs ist komplett verschlossen. Dass ich für nach der Tour eine große Flasche Wasser bestellt habe, da man nirgends Wasser nachfüllen kann (wie bisher in allen anderen Unterkünften), ist erneut nicht auf Interesse gestoßen. Schnell sage ich Juan, dass wir noch Wasser brauchen, bevor auch er irgendwo im Dunkeln verschwindet und wir komplett uns selbst überlassen sind.
Keine Nachfrage, ob wir noch irgendwas brauchen, Hunger haben oder Durst – und das an einem Ort, wo man als Gast wirklich gar nichts selbst organisieren kann, in einer Umgebung sengender Hitze, wo es auch nachts kaum abkühlt. Ich ärgere mich über diese ignorante Haltung, da wir immerhin zahlende Gäste sind und ohne Wasser ein riesen Problem hätten. Gleichzeitig freue ich mich über unsere weise Voraussicht, dass wir Früchte und Gemüse dabei haben und fühle mich wieder ein bisschen mehr im reiseabenteuerlich. Es ist schließlich nicht das erste Mal und wird nicht das letzte Mal sein, dass wir auf uns allein gestellt sind und die Zustände anders sind als erwartet. Für Pauschaltouristen wäre das hier nix. Aber die wollen wir ja auch nicht sein 😉
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