workation Diary

#18 Ein paar Gedanken

Eine Momentaufnahme

Das Paradox der Dinge

Gleichzeitig Verschiedenes wollen. Bleiben und weiterziehen. Neues erleben und Vertrautes kultivieren. Produktiv sein und nichts tun. Abenteuer erleben und Komfortzone behalten. An der Zukunft bauen und den gegenwärtigen Moment auskosten. Weit weg sein wollen und Zuhause vermissen. Gelangweilt da sitzen und innere Hektik spüren. Im selben Moment froh und traurig fühlen. All das geht gleichzeitig und sorgt damit für eine weitere, komplexe Ebene der Erlebnisse.

Die Illusion der Palme

Der Aufenthalt in tropischen Ländern ist gefüllt von Highlights: Natur, Tiere, Abenteuer, Sonne, Palmen, Meer, Menschen aus allen Ländern – die Liste ist lang. Aber oftmals wackelt es an der Basis und Dinge des alltäglichen Lebens (wie gewohnt und als selbstverständlich empfunden in einem privilegierten deutschen Leben) sind schwieriger zu erreichen: durchgehend fließend warmes Wasser, angenehme Luft zum Atmen draußen und drinnen (ohne dass es nach Abwasser, Schimmel oder Reinigungsmitteln riecht oder viel zu heiß und stickig ist), verlässlich von A nach B kommen, gesundes Essen finden, angenehmes Licht (oder überhaupt Licht) in Räumen haben, zuverlässig Strom und Internet haben. Längerfristige Kontakte knüpfen und die Welt des Oberflächlichen verlassen.

Von zuhause (in Deutschland) aus haben wir oft die Idee, dass wir mit einer Reise unser Leben (oder Wohlfühllevel) wie zuhause haben PLUS die Highlights der Exotik. Aber das ist nicht immer so. Die Glückseligkeit hält nicht lange an, wenn es an der Basis fehlt. Das Level an Wohlbefinden ist oft ein anderes als zuhause. Die Annehmlichkeiten sind andere. Das Klima ist anders (und nicht immer angenehm).

Was vor allem im Moment fehlt: die Community. Es gibt Leute, auch Traveller, die wir schon getroffen haben, die scheinen gut damit klarzukommen über Jahre hinweg immer nur kurzzeit Kontakte zu haben, die spätestens nach Tagen wieder aus ihrem Leben verschwunden sind. Auch manche Expats, die ich kenne, kommen damit gut zurecht. Mir fällt das schwer. Ich brauche Leute, die bleiben. Ein ausschließlich oberflächlicher Austausch ist für mich wie immer nur drei Stunden Schlaf in der Nacht: Es reicht einfach nicht.

Die empfundene Einsamkeit auf Reisen kann sich zu einer dicken Wolke zusammen formen. Und die ist dann einfach da – auch mit Palme, auch mit Strand, auch mit Wasserfall. Die Perspektiven ordnen sich sich auf Reisen neu. Plötzlich ist der spontane Kaffee mit einer geliebten Person etwas, das man am meisten vermisst. Zuhause in Deutschland würde man über diese „Kleinigkeit“ vielleicht nicht mal nachdenken. Das Außergewöhnliche liegt auf Reisen manchmal im – normalerweise – Gewöhnlichen.

Shitsandwich – oder auch Dinge, mit denen ich mich hier aktuell ein bisschen schwer tue (abgesehen von den mageren Essenoptionen)

  • Lautstärke: volle Musikdröhnung aus gigantischen Lautsprechern in Bussen, auf Schiffen, in Restaurants, in Unterkünften, in Geschäften. Marktschreier – oder wie könnte man sonst sagen? Die aus tiefster Kehle ihr Angebot (wie Brot, Fliegenklatschen, Kaugummi und auch sonst alles Mögliche) lauthals durch die Straßen rufen, sodass sie möglichst weit zu hören sind – wahlweise, wenn man gerade direkt an ihnen vorbei geht. Auch beliebt (vor allem in El Salvador): Das eigene Verkaufsmantra in eine Aufnahme brüllen und diese dann durch ein Minimegafon in Dauerschleife abspielen. Krasser Krach in den engen Straßen in der Stadt durch laut heulende Motoren von Autos, Chicken Bussen, Trucks, und Mopeds.  
  • Geschmack: Zuckermassen in so ziemlich ALLEM
  • Ästhetik: herumliegende Müllmassen, wahlweise im eigenen Garten. An Wegesrändern und auf Straßen sowieso, aber im eigenen Zuhause? Dieses Phänomen werde ich wohl nie verstehen. Zudem ist es Gang und Gäbe, auf der Straße einfach die Hand zu öffnen und alles fallen zu lassen.
  • Öffnungszeiten, die sich spontan ändern und selbst die Leute vor Ort öfter vor verschlossenen Türen stehen – und wir entsprechend auch
  • Mücken ohne Ende…
  • Wieder klebt’s überall von der feuchten Hitze: Der Sand an den Füßen, der Rock an den Beinen, die Haare am Rücken, der Oberschenkel an der Klobrille. DOOF!!!
  • Chicken Busse! Sehen cool aus, sind aber meistens bis unters Dach voll und der Fahrstil lässt zu wünschen übrig: mit Kängurugas wird losgefahren, um aus voller Fahrt plötzlich voll abzubremsen
  • Abfahrtzeiten, die Theorie anstatt Praxis entsprechen
  • Ein netter Bonus für die gute Laune: “Aus Sicherheitsgründen wurde Ihre Kreditkarte vorsorglich mit sofortiger Wirkung für alle Zahlungen gesperrt” … Na Danke für die Sicherheitsmaßnahme. Ist als mein einziges Zahlungsmittel auf der Reise nur gerade ganz schön unpraktisch. Ohne Reisebegleitung wäre ich jetzt ganz schön am A*sch. So zahle ich dann erstmal mit der Kreditkarte vom Mann, der hat glücklicherweise zwei 😇

Insgesamt fühlt sich die Liste ganz schön lang an und meine Gedanken dazu sind bezeichnend für das Reisetief, das sich gerade in mir auftut. Von den immer wiederkehrenden Planungen und neuen Herausforderungen vor Ort fühle ich mich zunehmend erschöpft. Ist ein „gewöhnlicher“ Urlaub nach ein paar Wochen zu Ende, geht unsere Reise noch monatelang weiter, was sich gedanklich gerade wie ein riesen großer Berg vor mir aufbaut. Ein bisschen bin ich neidisch auf Udo, der erneut 10 Tage Pause hat von unserem schönen Abenteuer.

Frischer Wind darf her, eindeutig. Nicaragua: Let’s give it a go!


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Kommentare

2 Antworten zu „#18 Ein paar Gedanken“

  1. Avatar von Renate und Arwed
    Renate und Arwed

    Oje! Das Paradox der Dinge! Kann ich (Renate) sehr gut nachvollziehen! Der Lärm, der Gestank das feuchte Klima und dann noch die gesperrte Karte!!!all das braucht wirklich kein Mensch, erstrecht nicht im Urlaub….Dann weiß man wieder das Hier und Jetzt in D -Land wieder zu schätzen?! Oder auch das, was hierzulande nicht so optimal ist, eher zu akzeptieren, oder? Aber es kommen bestimmt noch bessere Zeiten für euch, jedenfalls Wünschen wir es euch!!

    1. Avatar von Anna
      Anna

      Danke dir. Ja, das Reisen ändert die Perspektive und hilft, „Selbstverständliches“ wieder mehr schätzen zu können. Einer der Gründe, warum wir uns auf den Weg gemacht haben. Wir haben ein sehr privilegiertes Leben und es tut ganz gut, ab und zu daran erinnert zu werden :)

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