Let’s take the bus!
Auf dem Weg ins Hochland nach Arequipa machen wir Halt in Paracas für eine kleine Bootstour, die uns aber nur mäßige Begeisterung entlockt. Der Ort existiert ausschließlich für den Tourismus und fühlt sich ganz und gar künstlich an. Zum Glück haben wir am selben Tag noch den Anschluss gebucht und können – immerhin nach ein paar ganz schönen Impressionen auf See mit Pinguinen & Co. – die Weiterreise antreten.
Weiter geht es über Nazca, was seinen wirtschaftlichen Boom eindeutig seinen berühmten Linien verdankt. Aus Mangel an vorheriger Recherche fällt bei Udo und mir der Groschen auch erst hier: “Ach hier ist das mit den Linien”…

Die geplante Reiseroute lässt zwar keinen Raum für einen Besuch (bzw. Überflug) zu, doch begegnen uns im ganzen Ort in jedem zweiten Gebäude, an Haltestellen, Hauswänden, in Restaurants, in Läden – also im Prinzip überall, wo man hinguckt, die Bilder der mystischen Linienformationen auf den Feldern, die wir nach kurzer Zeit sogar schon mit Namen benennen können. Also haben wir eh schon das Gefühl, sie gesehen zu haben 😂
Viel mehr versetzt uns die eigentliche Busfahrt ins Staunen. Gefahren wird hier grundsätzlich in Doppeldeckerbussen. Das absolute Highlight: oben ganz vorne sitzen! Was für ein Blick! Und so viel Platz! Und noch Entertainmentprogramm! Was ehrlicherweise bei Tageslicht überhaupt nicht nötig ist, weil die Landschaft schon Unterhaltung genug bietet.

Der Weg entlang der Küste gen Süden nach Arequipa führt uns vorbei an kargen Landschaften, Geröllwüsten, durch Felsen, an Sanddünen vorbei und an Orten, die man auch im Orient erwarten könnte. Es gibt überwiegend GAR keine Vegetation außerhalb der Orte. Das haben wir noch nicht gesehen vorher. Wüstenwelten am Meer! Ein Vorteil, wenn man vorher nicht dazu kam, sich die Reiselektüre zu Gemüte zu führen: Es gibt noch keine Bilder im Kopf und alles, was kommt, ist eine Überraschung 😄

Arequipa
Die Stadt Arequipa gefällt uns gut. Unser Hostel Selina lässt wieder mal keine Wünsche offen. Ok, sie haben eine riesen Yoga Shala, wenn man reinkommt, da ist es einfach mich zu begeistern 😅🧘🏼♀️

Das Klima ist nach wie vor angenehm, die Sonne scheint dann und wann. Kein scheppernder Lärm in den Straßen. Herrlich.
Bei einer kleinen Tour durch die Stadt sehen wir auch ganz nah die ersten Alpakas, die liebevoll Alpaquitas genannt werden. Wie schon in Lima tun wir uns leicht, was leckeres, gesundes, vegetarisches zum Essen zu finden. Schön 🙃
Achso, dass zwischendurch Heiligabend ist, vergessen wir fast. Das einzig weihnachtliche an diesem Tag ist ein Weihnachtsbaum auf dem Hauptplatz und die Telefonate mit unseren Familien zu Hause. Während uns mit von Kaminwärme geröteten Gesichtern zu gewinkt wird, grinsen wir mit leichtem Sonnenbrand und Palme im Hintergrund zurück.
Auf zum Canyon
Wir überlegen, wie wir am besten die Canyon Tour anstellen wollen, die das absolute Outdoor-Highlight in dieser Gegend ist – und der Grund, weshalb wir überhaupt hier sind. Der Colca Canyon soll vom Gipfel bis runter zum Fluss der tiefste Canyon auf dem ganzen Kontinent sein, und der dritttiefste der Welt.
Geführte Tour oder alleine? Nur Tagestrip oder mit Übernachtung? Wie lange? Mh. Wie ich es liebe, diese Entscheidungen zu treffen, ohne zu wissen, wie es am besten ist… Wir entscheiden uns für eine geführte 2-Tages-Tour, weil wir so in der Kürze der Zeit am meisten sehen.
Schon die Fahrt hin zum Canyon ist der Wahnsinn!!! Das Panorama der Anden ist gigantisch. Zum ersten Mal sehen wir die berühmten Terrassen, die die Inka Völker hier in die Felsen gearbeitet haben, und denen das Gebirge seinen Namen verdankt: Anden geht auf das spanische Wort andenes (kurz andes) zurück – Feldterrassen. Außerdem ersetzen Steinmäuerchen die Zäune für Weiden, Felder und Beete und fügen sich ideal ins Landschaftsbild ein. Im Vorbeifahren sehen wir Kuhbauern auf den Feldern und ältere Damen in traditioneller Robe mit Körben auf der Straße.
Am ersten Stopp, dem Cruz del Condor, haben wir Glück und erblicken zum ersten Mal den Anden Kondor, wie er in hohen Lüften gleitet.

Beim Frühstückshalt (bei dem es in den Höhenlagen ziemlich kalt ist für uns Sommer-Verwöhnte) trinken wir zum ersten Mal warmen Quinoa und finden zu unserer Freude Coca-Blätter auf den Tischen. Ein bisschen aufgeregt machen wir uns die erste Mischung zurecht und gießen sie mit heißem Wasser auf. Uiuiui, wie schmeckt wohl Coca? Werden wir davon high?
Resultat: schmeckt wie grüner Tee und sonst passiert nichts 😂
Colca Canyon
Dann geht es auch schon los auf unsere Tour. Schon nach ein paar Minuten ärgern wir uns ein bisschen über die Entscheidung einer geführten Tour mit Gruppe. Statt sich der überwältigenden Schönheit der Landschaft hinzugeben, den Moment zu genießen, mal achtsam innezuhalten und die Impressionen ganz bewusst aufzusagen, scheint es einen Wettbewerb innerhalb der Gruppe zu geben, wer am schnellsten die sechs Kilometer Bergstrecke runter rennen kann. Udo und ich sind mit weitem Abstand immer die letzten auf dem Weg nach unten. Dafür auch die Einzigen, die unterwegs bombastische Fotos machen und ohne Gequassel der Anderen ab und zu den Moment nur für uns haben.
Ab mittags wird es dann ein bisschen angenehmer mit den Anderen und wir lernen einander besser kennen. Schon immer wieder interessant die Entwicklung von Fremden zu Bekannten. Nach ein paar Gesprächen – wenn man überall hingehört hat auf englisch, portugiesisch, spanisch, chinesisch, deutsch und französisch, und das bei 12 Leuten – finden wir uns auf einmal alle ein bisschen sympathischer.
Insgesamt legen wir an diesem Tag ca. 1.800 Höhenmeter zurück: Vom Canyon Gipfel runter zum Fluss, nochmal halb nach oben und schließlich wieder runter bis zu unserem Schlafdomizil: Sangalle, die Oase des Canyons. Von karger Felslandschaft über ewig weite Kakteenfelder finden wir uns nun umgeben von Palmen und Wasser wieder am tiefsten Punkt des Canyons.
Alt wird an diesem Abend keiner und so hauen wir uns alle direkt nach dem Abendessen aufs Ohr, weil es schon am nächsten Tag um 4:30 Uhr wieder losgeht. Und zwar nur nach oben – der Nachteil, wenn man einen Canyon bewandert 😂
Nächster Morgen 4:30 Uhr
Ganz schön Respekt hatte ich vor diesem Aufstieg. Stundenlang nur bergauf. Im Dunkeln los. Oh Mann. Ein bisschen aus Schiss, den Anschluss zu verlieren, hefte ich mich an die Fersen von Speedy Gonzales – ein Mädel aus der Gruppe, das am ersten Tag grundsätzlich in wenigen Schritten alle anderen abgehängt hatte. Was Udo und ich an Abstand nach vorne zur Gruppe hatten, hatte sie nach hinten.

Also los, ihr hinterher und keine Müdigkeit vortäuschen. Weil ich Bedenken habe, dass ich nicht mehr weiterkomme, wenn ich anhalte, halte ich einfach gar nicht an – für über zwei Stunden 😂 Ab und zu reicht mir Udo die Wasserflasche von hinten. Getrunken wird im Gehen, ein Stopp ist nicht drin.

Während ich mich in gutem Rhythmus, aber auch an der Konditionsgrenze den Berg auf 3.330 Meter hoch wirtschafte, ab und zu mal schimpfe, weil es so anstrengend ist oder ich mir einen zurecht stolpere, springt Udo vergnügt um mich rum, lässt sich mal zurückfallen, macht ein paar Fotos, holt wieder auf, hat noch Puste, um Geschichtchen zu erzählen und hier und da einen extra Weg zu erkunden. Echt ey, kann der Mann auch mal kaputt sein? Nö 🙄😅
Nach 2 Stunden und 20 Minuten sind wir oben. 1.070 Höhenmeter und 3,6 km Weg. Chacka 💪 Manche Gruppen brauchen 3-3,5 Stunden für die Strecke. Von wegen lahme Enten. Die Gruppe guckt nicht schlecht, als einer nach dem anderen mit rotem Gesicht oben ankommt, während wir schon längst unsere Proviantpause hinter uns haben 😉

An dieser Stelle freue ich mich nochmal extra, dass wir gestern schon die meisten Fotos gemacht haben. Nicht nur, dass heute ein Teil der Strecke noch dunkel war, ich wäre auch viel zu kaputt gewesen, um ständig anzuhalten und noch passende Fotomotive zu wählen.
Alles richtig gemacht also. Der Weg zum nächsten Ort ist auch noch mal total schön und geht sich ohne Steigung wie von selbst. Wir frühstücken ausgiebig, erholen uns gut und freuen uns, dass noch so viel vom Tag übrig ist: Obwohl wir uns vom Pensum her fühlen, als wäre es nachmittags um drei, ist es gerade mal halb neun Uhr am Morgen, als wir den Minibus besteigen und die restlichen Highlights des Trips motorisiert abklappern.
Einziger Nachteil: Während der Fahrt aus dem Bus heraus Bilder zu machen, klappt so gut, wie wenn man beim Trampolinspringen ein schönes Porträt schießen will. Gar nicht 🙄 Somit bleiben viele wunderschöne Impressionen, zum Beispiel von einer Herde grasender Alpakas vor einem Vulkan, in unserem Gedächtnis gespeichert und nicht im Fotostream auf dem Handy.
Schreibe einen Kommentar