Arrive & Stay
Pünktlich zum Sonnenuntergang kommen wir in Rio de Janeiro an. Der erste Anlaufpunkt ist natürlich der Strand für die letzten Glitzerbilder im Wasser, bevor es ganz dunkel wird.

Rio. Jetzt sind wir also wirklich hier. Als Homebase haben wir uns den im Westen liegenden Bezirk Recreio dos Bandeirantes ausgesucht. Heimspiel für Udo, hier war er schon öfter und das ist ganz zu unserem Vorteil: Er weiß, wo’s schön ist. Leider gibt es das Hostel seiner früheren Aufenthalte nicht mehr und so landen wir nach mehrmaligem um-den-Block-fahren, weil wir den Eingang nicht finden, wieder in einem Zimmer, das dem bisherigen brasilianischen Klischee an Unterkünften gerecht wird: spartanisch, ungemütlich. Unsere ganzen Sachen liegen verstreut auf dem Boden. Außer einem Bett und einem wenig ansprechenden Läufer gibt es nichts. Zum Glück nur für eine Nacht. Dann überlegen wir neu.
Von hier an aufwärts
Am nächsten Tag wird uns ein neues Zimmer angeboten und siehe da: ES GEHT JA DOCH! Mit kleinem Balkon und einem schönen Blick über die Anlage, Fenster von zwei Seiten, damit wir gut lüften können, ein großes Bad mit riesen Spiegel. Schränke, Regal, Abstellfläche. Und auch noch hübsch dekoriert. Dass wir das in Brasilien noch erleben dürfen 😍 Nach bisher 13 brasilianischen Unterkünften, die uns nicht gerade vom Hocker gehauen haben – milde gesprochen – ist es eine wahre Wohltat, mal wieder SCHÖN zu schlafen. Also für mich. Udo schläft überall super 😂
Wir richten uns ein und spannen unser eigenes Moskitonetz über das Bett, damit wir nachts alle Fenster auf lassen können. Wie herrlich. Und der Ingenieur von uns beiden kreiert dabei gleich noch eine neue Konstruktion: Mein Hula Hoop Reifen dient als Hängevorrichtung fürs Moskitonetz.

Die größte Party der Welt
Wir sind in Rio de Janeiro. Im Februar. Das ist kein Zufall 😜
Sieben Millionen Menschen werden dieses Jahr zum Karneval erwartet. Wir sind zwei davon. Wahrscheinlich haben die meisten Leute beim Stichwort Karneval in Rio das vom Fernsehen geprägte Bild der spektakulären Paraden im Sambadrom-Stadion im Kopf, bei denen die besten Samba Schulen der Stadt in aufwendigen Federkostümen und farbenfrohen Verzierungen ihr Können zeigen.
Neben diesen offiziellen Sambaparaden gibt es allerdings noch hunderte von weiteren Straßenpartys in vielen Teilen der Stadt, die sogenannten blocos. Auch hier ist Udo kein Newbie und hat zuvor schon auf einigen blocos seine Hüften schwingen lassen. Somit haben wir eine ungefähre Idee, was uns erwartet und entscheiden uns auch dieses Mal für diese authentischere Variante, bei der wir direkt mitfeiern können anstatt nur als Zuschauer auf den Rängen zu sitzen.
Mit improvisierten Kostümen aus dem Reisekoffer – nicht unpassend, denn zu blocos erscheint man durchaus in fantasievollen und lustigen Kostümen, wie ich vorher lese – und dem ersten aufgetragenen Lidschatten seit fünf Monaten, lassen wir uns in das Viertel fahren, wo aktuell was los sein soll. Unser Fahrer erkundigt sich während der Fahrt, wo genau die Party steigt und lässt uns direkt an der Ecke raus.
Erster Eindruck: WOW. Die “Kostüme” 😳
Wie an den brasilianischen Stränden, steht auch hier die körperliche Freizügigkeit im Vordergrund. Das meistgesehene Mädelskostüm: Stringtanga, Netzstrumpfhose drüber, BH/Bikini-Top. Und HAUFENWEISE Glitzer.
Zu den freizügigen Outfits passt die ausgelassene Stimmung. Eine brasilianische Mischung aus Münchner Oktoberfest und Hamburger Kietz. Caipi statt Bier, Samba auf der Straße statt Gaudi im Festzelt. Ganz geile Kombi eigentlich 😜 Also erstmal zwei Caipis holen. First things first.

Die Lebensfreude der Brasilianer überträgt sich hier sofort. Alles sieht bunt und glitzerig und fröhlich aus. Die meisten scheinen in kleinen Gruppen da zu sein und sich zu kennen. Das ist das Einzige, was wir ein bisschen bedauern. Ohne feste Gruppe und mit der Sprachbarriere, da wir quasi ausschließlich portugiesisch hören (und englisch generell wenig bis gar nicht gesprochen wird), kommen wir nicht so richtig “unters Volk”. Und unsere Grenze, wie viele Caipirinhas wir an einem Abend schaffen, ist gefühlt auch viel schneller erreicht als bei allen anderen 😂
Berauscht von den vielen Eindrücken schließen wir uns nach einiger Zeit der großen Masse an und ziehen noch etwas weiter durch die Stadt. Ganze Stadtviertel sind im Feiermodus. Bars, Restaurants, etliche Buden und Foodtrucks versorgen die Partypeople überall mit dem Nötigen, damit die Party weitergehen kann. Schon was Besonderes, nachts derart ausgelassen durch die Straßen zu ziehen. Oder überhaupt mal draußen zu sein und nicht, wie meistens, um neun schon im Bett 😂
Besonders gefällt mir, wie gut alle miteinander sind. Egal welcher Aufzug, welches Aussehen, welche Herkunft – hier sind alle gleich. Gleich fröhlich, gleich respektvoll und tolerant miteinander. Und das bei den vielen tausenden Menschen auf engem Raum. Das ist zumindest unser geteilter Eindruck bei allen Partys, die wir miterleben durften.
Getting Home
Nur das Heimkommen ist dann am Ende nicht so einfach, wie wir dachten. Haben wir hinwärts noch easy peasy einen Fahrer bekommen, ist jetzt der Preis schon der dreifache und wir teilen unser Interesse an einer Heimfahrt mit vielen anderen zur selben Zeit.
Anna: Mh, wir könnten ja auch laufen. Wie lange würde das dauern?
Udo schaut auf Google Maps: 10 Stunden. Es sind 43 Kilometer bis zur Unterkunft.
Whaaaaat? Ich wusste ja, dass Rio groß ist, aber so groß? 43 km nur durch die Stadt? Hatte bei der vorfreudigen Stimmung vorhin gar nicht gemerkt, wie lange die Herfahrt gedauert hat. Naja. Also platzieren wir uns abseits der großen Massen strategisch ein bisschen besser und werden dann doch gut wieder nach Hause gebracht.
Mein Fazit zum Karneval
Wir haben mehrere blocos am Tage und auch bis spät abends miterlebt, davon auch manche einfach durch Zufall. Die Stimmung war jedes Mal ausgelassen und es ist nie “was Komisches” passiert. Gleichzeitig steht auch beim Karneval in Rio der Alkoholkonsum sehr im Vordergrund. Häufig wohl ein Synonym für das Wort Party. Das ist (wahrscheinlich) an den meisten Orten der Welt so, aber von Brasilien hatte ich mir irgendwie mehr Samba und weniger Caipi erhofft. Das wäre vielleicht im Sambadrom so gewesen, aber da sitzt man auch nur passiv als Zuschauer nebendran. Mh. Meine Vorstellung von Party ist wohl einfach eine bisschen andere. Trotzdem hat mir die Stimmung sehr gefallen und ich bin froh, das Ganze miterlebt zu haben. Wie bei allen Erlebnissen auf dieser Reise 😃
Paradies im Longboard Paradise
Auf Empfehlung von Udos Bekannten in Rio wechseln wir noch einmal unsere Unterkunft und landen damit in der bisher schönsten in Brasilien. Direkt am Strand, direkt am Wasser. Genau das Richtige, denn wir sind inzwischen back to the heat, mit 35 Grad aufwärts.

Im Longboard Paradise, zwischen Surfern und Longboards und lieben Angestellten, die fließend englisch sprechen (🙏), machen wir es uns richtig schön gemütlich. Und verlängern mehrmals unseren Aufenthalt, denn hier finden wir endlich das langersehnte Refugium in Brasilien.
Dicker Bonus: Als Surfschule bieten sie einen großen Trainingsbereich mit gepolstertem Boden an. Ideal für ein paar weitere Runden Acro Yoga, das wir vor kurzem am Strand an der Costa Verde für uns wiederentdeckt haben. Jetzt können wir auch mal ein paar fancy Tricks über Kopf üben 😍
Nächster dicker Bonus: Neben einem großen Co-Working Space gibt es eine große überdachte Terrasse zum Arbeiten mit bomben Internet (Starlink, wie Udo jetzt ergänzen würde) und meeega Blick auf die Promenade und das Meer.

Nächster dicker Bonus: Es gibt ab und zu geführte Yoga-Stunden kostenlos angeboten. Und die sind auch noch richtig gut!!!
Nächster dicker Bonus: Der tolle Yogalehrer lässt seine spirituelle Energie auch gerne in intensive Massagen fließen, die er regelmäßig anbietet. Genau das, wonach Udo und ich schon lange Ausschau gehalten haben. Ein Traum. Udo bucht gleich zweimal 😃
Exotischer Moment: Udo kennt eine Stelle, wo im kleinen Fluss mitten in der Stadt Krokodile wohnen. Und zwar nicht wenige. Sehen wir auf dem ersten Besuch nur ein großes und zwei kleine, sind es auf dem zweiten Besuch insgesamt gleich 24 große. Krokodile in unmittelbarer Sichtweite! Schwimmen direkt unter uns durch, als wir auf der kleinen Brücke stehen. Unglaublich. So nah dran und so genau sieht man sie in freier Wildbahn ja quasi nie. Und schon gar nicht von oben. So kann ich mal genauer hinschauen und entdecke, dass die Nase von Krokodilen ähnlich aussieht, wie die von Hunden. Nur, dass die Nasenlöcher nicht nach vorne gehen, sondern nach oben. Und bisschen platt gedrückt sieht sie aus. Krass. Ha, ich hab ne Krokodilsnase gesehen. Mitten in der Stadt. Da lacht doch gleich das Abenteuer Herz 😃
Irgendwas ist immer…
Erneut erleben wir zwei dicke Seiten der selben Medaille. An der Costa Verde verzauberten uns die unglaublich schönen Strände und Buchten, umgeben von satter, üppiger, farbenfroher Vegetation. Dafür kam die Ernüchterung, sobald wir eine unserer Unterbringungen betraten.
Hier in Rio begeistern uns der Vibe, die Unterkunft und die schöne Lage, dafür bietet die Essenssituation – wie leider schon so oft in den lateinamerikanischen Ländern – Anlass für Frustration. Und für Hunger. So wie man in Deutschland pakistanisch Essen gehen kann – ja, das geht , aber halt nicht überall – kann man hier vegetarisch/vegane Restaurants oder Essensmöglichkeiten finden. Ganze Straßen, wo sich Resto an Resto reiht, bleiben uns durch das Einheitsangebot verwehrt. Es ist teilweise zum Verzweifeln. Als ob es nur eine einzige Speisekarte fürs ganze Land gibt. Und was steht da drauf? Carne. In allen Variationen. Pur, obendrauf, drunter, mittendrin. Mehr als einmal gehen wir mit knurrendem Magen ins Bett, weil Schweinefleisch Burger und Salami Pizza die einzigen Optionen weit und breit sind. Dann müssen Cracker und Bier ausreichen. Das findet man wenigstens.
Dazu scheint selbst die Bedeutung des Wortes vegetarisch nicht richtig bekannt zu sein (wohlgemerkt in der Landessprache, wahlweise ergänzt mit spanischen und/oder englischen Vokabeln). Der Bäcker oder Straßenverkäufer, der auf Nachfrage, ob es vegetarische Angebote gibt, zuversichtlich nickt und zielsicher ins Sortiment greift, verkauft uns freudig seine Teigware, die dann am Ende doch mit Wurst gefüllt ist. Wahlweise mit Schinken. Was wir allerdings erst beim Reinbeißen erst erkennen (deswegen muss Udo grundsätzlich alles zuerst probieren, hehe). Das ist so oft vorkommen, dass vegetarisch hier tatsächlich Wurst/Schinken zu bedeuten scheint. Bei vegan erhält man etwas mit Käse und/oder Ei.
Zugegeben, ab und zu haben wir auch mal Glück und was wir serviert bekommen, ist wirklich der Knaller (z.B. im Buriti Vegetal).

Hat man dann aber man diese Nadel im Heuhaufen gefunden, ist dieses Restaurant grundsätzlich am nächsten Tag geschlossen und man steht wieder ohne Option da. Selber kochen geht zudem auch nirgends, weil keine Küche, hinreichend ausgestattet ist. Es mangelt meist schon an einem zweiten Teller oder überhaupt einer Gabel. Von anderen Utensilien ganz zu schweigen.
Copa, Copacabanaaa…
Wenn man schonmal in Rio ist… dann bitte gerne auch an der Copacabana! Dieses Mal auch die „richtige“ – hieß doch der Ort am Titicaca See in Bolivien auch schon Copacabana :P
Was ich mir im Jahr vorher als buntes kleines Modell im Hamburger Miniatur Wunderland angesehen habe – und da schon dachte „Alter Schwede, sind da viele Leute“ – breitet sich nun vor meinen richtigen Augen aus. Schon Wahnsinn. Und gleichzeitig so normal. Ist halt ein Strand in der Stadt :D

Wie schon häufiger in Brasilien sprüht hier die Atmosphäre voller Leben: Viele kleine Grüppchen spielen an der Wasserkante im Kreis Volley-Football (ein brasilianischer Klassiker: eine Art Volleyball, bei dem der Ball mit allen Körperteilen gespielt werden darf); noch mehr Leute halten sich bei tüchtigen Wellen im recht kühlen Wasser auf. Wir sehen Schirme über Schirme, hören Musik aus allen Richtungen. Man ist Açai Bowls, trinkt dazu Bier (oder Caipi). Regelmäßig fliegen kleine Flugzeuge mit Werbebanner die Bucht entlang.
Es ist voll, laut, und umtriebig. Diese Szene in Deutschland an der Ostsee wäre wohl das Horrorszenario eines jeden nach Erholung strebenden Urlaubers. Hier an der brasilianischen Copacabana hingegen empfinden wir den Vibe als ziemlich cool. Die Menschen sehen fröhlich, leicht und happy aus. Alt wie jung, dick wie dünn, schwarz wie weiß. Nirgends ein grimmiges Gesicht, nirgends ein geschimpftes Wort, weil der Volleyball das Bier umgeworfen oder man beim Wellenreiten den Ellenbogen des Nachbarn abgekriegt hat. Hier wird gelebt und leben gelassen. Eine gegenseitige respektvolle Toleranz, wie wir sie schon beim Karneval erlebt haben, zeigt sich auch hier wieder, an einem beliebigen Wochentag am Strand mitten in der Stadt.
Einziger Minuspunkt (dafür leider ein sehr dicker): Was rein kommt, muss auch irgendwann wieder raus. Um es diplomatisch zu formulieren: Es gibt weit und breit kaum Toiletten und nicht jeder erledigt das Notwendige im Meer. Entsprechende Zeugnisse begegnen uns visuell und olfaktorisch gefühlt überall: in den Straßen, am Strand, auf Felsen, in Kneipen. Und auch der stetige Wind vermag diesen Eindruck nicht zu schmälern. Das verschafft uns, gewollt oder nicht, die Gelegenheit zu ein bisschen Mindset Training im Alltag: Die Gedanken ganz bewusst auf etwas anderes lenken – was mitten in einer „Wolke“ manchmal ganz schön schwierig sein kann. Da kommt uns dann ein spontaner Karnevals bloco gerade recht ;)


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