Erstmal chillen
Nach fünf Tagen Wanderung in karibischer Hitze durch Kolumbiens Sierra Nevada zur Ciudad Perdida, der verlorenen indigenen Stadt im Dschungel, folgen wir den Empfehlungen vieler Reisender und lassen es erstmal ruhig angehen.
Minca ist unser Ort der Wahl, unweit der größeren Stadt Santa Marta. Es liegt in den Bergen und damit deutlich höher als die heißen Orte direkt am Meer. „Ruhig und angenehm kühl“ soll es dort sein. Na, wenn das mal nicht passt.
Hoch in den Bergen stimmt, allerdings meint kühl doch eher kühler. Statt 36 Grad zeigt das Thermometer „nur“ noch 33 Grad… Die versprochene Abkühlung bleibt zwar weitgehend aus, dafür ist der Blick hinab bis zur bei Nacht glitzernden Stadt Santa Marta umso eingehender.


Im Sol de Minca finden wir erneut eine Ecolodge, die uns vollkommen begeistert. Ähnlich wie im Las Olas am Titicaca See in Bolivien oder im Lagarza Hostel in El Salvador sind die einzelnen Unterkünfte kunstvoll individuell kreiert, fügen sich in die natürliche Landschaft ein und eröffnen einen Blick über Berge, der für sich schon Unterhaltungsprogramm für den ganzen Tag liefert. Der Wahnsinn!
Das Besondere hier im Sol de Minca: Das Baumaterial ist zum größten Teil natürlichen Ursprungs, umweltfreundlich und mit den Händen geformt. Mit viel Herzblut werden hier die Erhaltung der Natur, nachhaltiger Tourismus, die Nutzung erneuerbarer Energiequellen und die Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks groß geschrieben. Dabei arbeitet der Familienbetrieb Hand in Hand mit lokalen indigenen Gruppen und orientiert sich an deren traditionellen Techniken, Kenntnissen und Fähigkeiten in Sachen Umweltschutz.
Was wir in diesem Zusammenhang bisher noch nicht hatten: Kompost-Toiletten! Zwar kann ich im ersten Moment die Begeisterung nicht ganz teilen, als uns die Anlage vorgestellt wird und nicht ohne Stolz die außenliegenden sanitären Anlagen präsentiert werden. Doch ist es am Ende wirklich in Ordnung: Die Schüssel mit Deckel sieht „ganz normal“ aus, die Grube darunter ist so tief, dass man nichts sieht oder mitkriegt. Nachdem man „das Geschenk“ da gelassen hat, kommt ein Schäufelchen trockenes Laub drüber, fertig. Geht eigentlich. Außer dass ich ein bisschen befremdlich finde, draußen über einem schwarzen Loch zu sitzen, in das ich nicht hinein sehen kann. Dauernd gucke ich, ob von unten was kommt und lausche ganz genau, ob ich was irgendwas rascheln höre. Ich brauche wohl nicht extra erwähnen, dass Udo solche Probleme nicht hat… :D
Dafür ist an anderer Stelle die Nähe zur Natur einfach mega. Beim Zähneputzen Vögel beobachten, beim Duschen von Palmen umringt sein und den gesamten Berg hinab blicken. Und diese Ruhe. Außer rascheln, zwitschern und zirpen gibt es kaum etwas zu hören. Beim Frühstück sehen wir sogar einen riesen Toucan vorbei fliegen, der dann später nochmal schön vor Udos Kamera posiert :)
Ein besonderes Highlight: Das tolle Essen! In der Unterkunft Sol de Minca ebenso wie im Örtchen Minca generell finden wir, was ich gerne conscious kitchen nenne: bewusste, nachhaltige Küche. Die Liebe zu guten Zutaten, Bewusstheit über deren Wirkung auf Körper, Geist, Seele und Natur, und dann noch schön für Auge und Gaumen. Da geht mir direkt das Herz auf. Und der Mund gleich mit :P
Bei der fleisch- und zuckerlastigen Ernährungsweise, die wir in Lateinamerika als Standard erlebt haben, sind Gelegenheiten wie diese ähnlich einer saftigen Oase in einer riesigen Wüste.
Wir lernen hier auch noch ein leckeres Gemüse genauer kennen: Yuca! Im Arepateig mit Pesto, als Yuca Sticks mit Dip oder als Yuca Pizzateig. Dazu unser geliebter Jugo de Fruta (Fruchtssaft) aus Fruchtmark mit Ananas, Maracuya, Tamarindo oder Guanabana. Yum.
Ein herrlicher Ort zum Entspannen, Auftanken, Sortieren, nächste Schritte überlegen. Mit gelegentlichen Besuchern. Neben einem Kolibri, der ab und zu vorbei schaut, begeistert sich auch eine Mini-Gottesanbeterin besonders für Udos Outdoor-Arbeitsplatz.
„Da seid ihr aber spät dran…“
Von entspannter Idylle hinzu „Shit, was machen wir jetzt?“ – das kann schnell gehen. Schon während unserer Wanderung zur Ciudad Perdida einige Tage vorher, meinte ein Pärchen aus unserer Gruppe „da seid ihr aber spät dran“, als wir erzählten, dass wir planen, die Segelüberfahrt von Cartagena in Kolumbien nach Panama City zu machen.
Schon vor acht Jahren bei meiner ersten Reise nach Mittelamerika galt dieser Segeltrip als einer der schönsten und alle, die ihn gemacht haben, schwärmten nur so in den höchsten Tönen. Da mein Freund aka Reisebuddy erklärter Segelfan ist und auf unserer Wanna Do-Liste für die Reise sowohl segeln, als auch übernachten auf einem Boot drauf stehen, steht auch dieser Trip als einer der wenigen schon lange für uns fest. Zumindest in unseren Köpfen. Denn was wir nicht ahnten: Diesen Trip muss man mindestens einen Monat vorher buchen, besser sechs Wochen. Ansonsten gibt es keine freien Plätze mehr. Mit unserem bisherigen Planungshorizont von maximal einer Woche sehen wir jetzt mal richtig alt aus. Keine Chance. Wir finden NICHTS.
Zur Abwechslung machen uns mal nicht innenpolitische Probleme oder Klimaextreme einen Strich durch die Rechnung, sondern unsere eigene kurzfristige Reiseplanung. Wir sitzen quasi fest. Wie sich rausstellt ist unser Standort hervorragend für besagten Segeltörn geeignet. Für alles andere eher nicht. Teuer, weit, doof. Das sind die Alternativen. Ganz toll.
Und weil wir momentan buchstäblich nicht weiterkommen, konzentrieren wir uns erstmal auf das Hier und Jetzt. Und das bedeutet: Pool und Cocktail Happy Hour auf der Dachterrasse, arbeiten im klimatisierten Co-Working Space UND: Buchung eines Try-Dives, ein Tauchkurs zum Ausprobieren und zwar nicht im gechlorten Pool, sondern vor der Marina im offenen Meer mit echten Tieren. Wenn wir schonmal in Santa Marta festhängen, können wir auch gleich die Vorteile nutzen, soll nämlich ein super Tauchspot sein.
Das erste Mal unter Wasser

Wir buchen uns den Try-Dive für den nächsten Tag und denken, damit ist alles geritzt. Haha, von wegen!
Erstmal steht online noch ein fetter Theorieteil an. Mit Testfragen! Riesen Fragebogen zur Gesundheitshistorie (u.a. „Hatten Sie in den letzten 12 Monaten ein oder mehrmals Kopfschmerzen oder Durchfall?“), Materialkunde des ganzen Tauchequipments, Handzeichen zur Verständigung, wichtige Regeln („niemals die Luft anhalten!“) und und und. Puh. Das hatten wir nicht kommen sehen.

Zum Glück nehmen wir die Vorbereitung ernst, die wir am Tag zuvor am Handy erledigen. Kaum zu glauben, dass nach sechs Monaten Lateinamerika die „deutsche Vorstellung“ immer noch so vorherrschend ist. Tatsächlich denke ich, wir sitzen erstmal zusammen im Klassenzimmer und machen Theorie, bevor es losgeht. Guten Morgen, liebe Anna, du weißt doch inzwischen, wie der hier Hase läuft 😅
In etwa so:
- Ankommen
- Checken, ob Ganzkörperneopren und Schuhe passen
- Anziehen
- Los auf‘s Boot
- Kurze Einführung auf spenglish während der Fahrt zum Tauchspot
- Tauchflasche und Flossen angeschnallt bekommen
- GO!
Die Lateinamerikanische Express-Variante also. Wir sind die einzigen Newbies im Boot. Alle anderen machen einen Fun Dive, also haben schon einen Tauchschein und machen hier ein paar Tauchgänge, um das marine Wildlife zu erkunden. Gleich zu Anfang habe ich schon die ersten Challenges, da sind wir noch nicht mal im Wasser. Der Neo ist mir am Hals viel zu eng. Der Gewichtsgurt drückt mir in den Magen. Am Bauch kann ich generell nichts haben, mir wird schon von einer engen Strumpfhosennaht schlecht. High Waist Jeans? Sieht super aus, geht leider gar nicht! Und jetzt dieser Monstergurt, der mich auch noch in die Tiefe ziehen soll 😱
Dann auf dem Rand vom Boot sitzen und mit allem Equipment rückwärts ins Wasser fallen lassen. RÜCKWÄRTS! Sowas würde mir sonst im Traum nicht einfallen. Erst recht nicht, wenn ich vorher noch trocken war. Reinspringen ins Wasser? Können andere machen. Ich bin Fraktion zentimeterweise vorarbeiten. Geht jetzt nur leider nicht.
Also bin ich schon fix und fertig, als ich überhaupt mal im Wasser lande. Ich mache das „alles ok“-Zeichen zum Tauchlehrer und Udo, die noch auf dem Boot stehen. Will ja nicht zum Start schon gleich komplett ablosen. Ist aber gelogen 🤥
Die schwere Flasche auf dem Rücken fühlt sich wie ein Elefant an, der mich fest umklammert. Die blöden Flossen behindern mich mehr als dass sie mir helfen. Durch das Mundstück kriege ich viel zu wenig Luft, in die Maske läuft Wasser.
Kann man sich noch schwerer tun? Nach zwei Minuten könnte ich schon anfangen zu heulen. Vor allem in der Bewegungsfreiheit so eingeschränkt zu sein, macht mir zu schaffen, ich habe echt mit aufkommender Panik zu kämpfen. Sonst kann ich mich im Wasser 360 widerstandslos in alle Richtungen drehen. So kenne ich es. In kompletter Tauchmontur sieht das Ganze anders aus.
Wir haben zum Glück eine halbe Stunde für uns, um uns mit der Atmung und der Bewegung vertraut zu machen. Unter Wasser lässt sich durch das Mundstück viel besser atmen, als über Wasser, also lasse ich den Kopf mal unten. So fällt auch das Schwimmen mit Flossen direkt leichter. Nach und nach wird es angenehmer und ich gewöhne mich langsam an Bewegung und Atmung.
Na dafür war es doch gedacht, denke ich mir. Ich wollte ausprobieren, wie es ist, mit Sauerstoffgerät zu atmen. Das weiß ich ja jetzt. Mehr brauche ich dann auch nicht, ich bleibe schön an der Oberfläche. Ist ja fast wie schnorcheln, sieht man auch viele Fischis, passt doch.
Die Idee, dass ich mehrere Meter tief tauchen soll und dann auch noch Übungen unter Wasser mache, wo ich das Mundstück rausnehme und wieder rein und solche Scherze – das lassen wir alles mal schön sein. Den Tauchlehrer schicke ich direkt wieder weg, als er kommt und die Übungen mit mir machen will. Er kann in einer Dreiviertelstunde noch mal nachfragen, aber bisher habe ich nicht vor, die Oberfläche zu verlassen.
Durch das klare, türkise Wasser erkenne ich Udo, wie er schon einige Meter tiefer ist und wie ein Musterschüler mit dem Tauchlehrer zusammen die Übungen macht. Zack, zack, erste Praxisprüfung bestanden. Erneut tut er mir nicht den Gefallen und findet auch mal irgendwas schwierig, was wir so machen. Nein, auf den Struggle bei unseren Erlebnissen habe ich ein Monopol in unserer Beziehung 😂🙈 Ich gönne es ihm ja. Gleichzeitig wurmt es mich, dass ich es nicht gleich auch so easy hinkriege…
Auf einmal merke ich, dass jemand sachte, aber bestimmt meine Hand nimmt. Ein anderer Tauchlehrer taucht plötzlich vor mir auf und macht das Zeichen, dass wir jetzt zusammen nach unten tauchen. Mit ausladender Geste schüttele ich den Kopf und mein Gesicht sagt „auf gar keinen Fall!“. Er zwinkert mir durch die Brille zu, fängt an zu nicken und schon sind wir anderthalb Meter tiefer. Na gut. Bis hierhin geht’s.
Er hält weiter meine Hand und wir kommen schon bald auf dem Sandboden an, wo wir kniend erstmal kurz verweilen. Ich kann die Wasseroberfläche gut sehen, die Sonne sorgt für beste Sicht. Sie scheint in Reichweite. Ich bin unter Wasser und es ist in Ordnung. Der Teacher macht ruhige Gesten zum Ein- und Ausatmen. Ab und zu zwinkert er mir zu und ich muss innerlich ein bisschen grinsen. Er zeigt mir die erste Übung: Einatmen, dann das Mundstück raus tun, Blasen ausatmen, Mundstück nehmen, einatmen. Geschafft! Weitere Übungen folgen. Er macht vor, ich mache nach. Sogar die, wo wir simulieren, dass ich das Mundstück im Wasser verliere und wiederfinden muss. Alles klappt! Der Wahnsinn. Er macht am Ende einen kleinen Applaus unter Wasser und ich habe tatsächlich die erste Prüfung bestanden. CHECK!!!
Zurück an der Wasseroberfläche kann ich es erstmal gar nicht glauben. Ich hab echt die Tauchübungen hingekriegt, unter Wasser! Dann hat sich der Try-Dive ja schon mehr gelohnt, als ich dachte. Alle Erwartungen übertroffen. Ich gucke mir weiter die bunten Fische an und freue mich, dass ich mehr und mehr vom Panik-Modus in den Genuss-Modus wechseln kann mit Tauchflasche & Co.
Bis der Tauchlehrer wieder vor mir auftaucht. Er nimmt erneut meine Hand. Wir tauchen wieder runter. Mein Widerstand ist dieses Mal schon etwas kleiner. Vielleicht traue ich mich ein kleines Stückchen weiter. An seiner Seite fühle ich mich sicher. Ab und zu ein kleines Zwinkern in meine Richtung hilft auch 😉 Und dass ich sehe, dass er noch eine andere Chica an der anderen Hand hat. Zu dritt tauchen wir weiter und weiter. Irgendwann kann ich die Wasseroberfläche nicht mehr sehen. Wir schwimmen durch Korallen, die ihre Arme in leichter Strömung hin und her wiegen. Wie bei Arielle, denke ich. Eine andere Welt. Ich bemühe mich um eine ruhige, gleichmäßige Atmung. Die Atemgeräusche und Luftblasen geben den Rhythmus vor.
Immer wieder kriege ich den Druckausgleich im Ohr nicht so gut hin und es kostet mich einige Energie, mich mental immer wieder zu beruhigen. Es ist alles in Ordnung. Nur mein Monkey Mind will immer mal wieder an Mikro und für ein bisschen Panik sorgen. Trotzdem gebe ich mir größte Mühe, den Moment so gut wie möglich wahrzunehmen.
Später frage ich den Tauchlehrer, wie tief wir waren. So 10 bis 12 Meter, meint er. Krasser Scheiß!
Wir fahren schließlich mit dem Boot weiter zum nächsten Spot und einem zweiten Tauchgang. „Beim zweiten Mal ist es leichter“, heißt es. Schon ganz souverän lasse ich mich dieses Mal von der Bootskante ins Wasser fallen. Kriege unter Wasser sogar eine lässige Drehung hin 😎 Siehe da, die Lernkurve ist schnell.
Dieses Mal gibt es auch kein großes Rumgeplänkel, alle wissen, wie es läuft. An der Hand vom Teacher geht es runter, dann paar Meter gemeinsam, bis er auf Udo deutet und mich „fragt“, ob ich auch mit ihm tauchen würde. Klar, nicke ich. Und bewege mich in acht Metern Tiefe auf meinen Freund zu. Der hat gar nichts mitgekriegt und schwimmt schon weiter, bevor ich ihn erreiche. Ohne jemanden an der Hand finde ich mich also im Wasser wieder. Beim Tauchen. Und es geht! Keine Panik. Kein Drang, direkt wieder zur Oberfläche zu schwimmen. Ich muss nicht die Tiefste von allen sein, aber nach oben will ich auch noch nicht. Es ist zu besonders. Die Unterwasserwelt ist einfach magisch. Unglaublich, welches Leben hier existiert, von dem wir normalerweise nie etwas selber sehen oder mitbekommen. Bunte Fische und Korallen in allen möglichen Formen, sogar ein Seepferdchen!
So bewegen wir uns als große Tauchgruppe von einem Spot zum Anderen. Und der Tauchlehrer nutzt seine frei gewordenen Hände, um ein paar Fotos unter Wasser zu schießen. Sogar ein Beweisfoto von Udo und mir zusammen.

Bei diesem Erlebnis bin ich ungefähr 10 cm gewachsen. Wie schon so oft auf Reisen, die in exotischer Umgebung mehr aus mir heraus kitzeln, als ich es von mir zuhause in Deutschland kenne. Und dieses Mal war mein Freund live dabei. Nicht nur eine Story to tell, sondern eine Story to share ❤️
Es geht sogar so weit, dass auch Udo noch eine größere Challenge für sich daraus macht. Weil unsere zwei Tauchgänge hier schon offiziell angerechnet werden können, ist die halbe Miete für den Open Water Tauchschein bereits erledigt. Während mir das Level an Herausforderung für den Moment reicht, beschließt er, den Tauchkurs noch komplett zu machen. Ein paar Tage später folgen drei weitere Tauchgänge, etliche weitere Übungen unter Wasser (bei denen ich mega froh bin, dass ich sie nicht machen musste, als mir Udo davon erzählt) und ein sehr umfangreicher Theorieteil, der für ein paar Nachtschichten sorgt. Und schließlich hält Udo sein digitales Zertifikat in den Händen. Überall auf der Welt darf er nun selber tauchen 🥳🌟🤿🎓.
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