Zivilisation! Metro! Schilder! Western World!
Zurück in der uns bekannten “ersten Welt”. Genauer gesagt in Panama City, wo wir vor einigen Monaten schon einen grandiosen 1-tägigen Zwischenstopp auf der Reise von Kolumbien nach Peru eingelegt haben. Ich logge mich das erste Mal mit dem Laptop ins lokale Wlan ein und muss SCROLLEN, um das richtige Netz zu finden. Vorher, am Amazonas, gab’s nicht mal einen Treffer.
Scheibe Brot mit Avocado im vegetarischen Resto: 9 USD. Alles klar. Da weiß man doch gleich wieder, wo man ist.
Es fühlt sich irgendwie nach Ende an. Nach Abschied. Obwohl wir ab jetzt noch einen ganzen Monat unterwegs sein werden. Länger als die meisten Leute im Jahr am Stück weg sind. Trotzdem. Immer öfter hören wir uns sagen: “Das wird mir fehlen.“ Zum Beispiel Udo, als wir vor zwei Tagen im vegetarischen Restaurant saßen: „Im Schatten sitzen und dabei schwitzen, das wird mir fehlen“, ich so : „Whaaaat? Gerade das wird mir nicht fehlen, die ewige Schwitzerei 🥵😂“.
Gleichzeitig wächst unsere Vorfreude. Auf die Highlights, die noch vor uns liegen. Und auf unser Leben zuhause. Alles ist eine Reise. Ein Abenteuer. Das ganze Leben. Spannende Projekte und neue Erfahrungen warten auf uns auch in Deutschland. Ebenso wie Knödel mit Soße, dazu ein herrliches Weißbier (ja, ich habe lange in Bayern gewohnt 😇), saftiges Brot und Soja Joghurt. Hach, auf was man sich alles freuen kann, wenn man es lange nicht hatte. Ich habe nach langer Flugreise Hunger, während ich das hier schreibe, man merkt‘s kaum 😝
Hä? Was macht man denn 10 Tage in Panama City?
So die Frage einer Freundin am Telefon. Hui, da macht man ganz schön viel. Vor allem erstmal Pause. Resetten. Reflektieren über das Vergangene, Einordnen der jüngsten Erlebnisse und Eindrücke. Planen der nächsten Schritte. Zuletzt ohne Strom und fließend Wasser bei einer lokalen Familie im Holzhaus am Amazonas gewohnt, als nächstes auf einem Segelschiff durch die Karibik segeln und danach eine Woche in New York City verbringen. Kontrastreicher könnten die Eindrücke kaum sein. Das darf unser System erstmal begreifen. Und sich gleichzeitig von den über 500 Insektenstichen der letzten Woche erholen, die fürchterlich jucken und sich bei der hohen Regenwaldfeuchtigkeit vielfach entzündet haben 😣.
Wir sprechen viel, schreiben auf, sortieren, arbeiten und schaffen Ordnung im Innen und Außen. Und cremen währenddessen die entzündeten Stellen mit Cortisonsalbe ein…
Amazonien – eine andere Welt?
Gestern sind wir aus Pacaya Samiria, dem größten Naturschutzgebiet im Regenwald am Amazonas von Peru zurückgekehrt. Eine Woche lang Einblicke in eine andere Zivilisation. Keine Ahnung, was wir vorher dachten. Aber dass das Alltagsleben vergleichsweise doch so “normal” abläuft, hatten wir wahrscheinlich nicht erwartet. Trotzdem ein für uns neuer Mix der Kulturen: Indigene Lebensweise trifft auf westlichen Fortschritt.
Zugegeben, es war eine Reiseerfahrung für Fortgeschrittene. Wäre dies unser erster Stopp aus Deutschland gewesen, wären wir (vor allem ich) wohl hauptsächlich im Bewältigungsmodus unterwegs gewesen. Wir hätten uns weniger für die lokalen Besonderheiten, Naturwunder und Gebräuche öffnen können und hätten vermutlich starke Anpassungsschwierigkeiten gehabt.
ERSTE MALE für uns
Nach sechs Monaten und sieben Ländern in Südamerika gelang es uns dafür ziemlich gut, uns auf diese intensive Erfahrung einzulassen. Wir hatten zuvor schon in wilden Flüssen gebadet, waren durch Regenwälder gewandert, hatten viel Zeit in feuchtwarmer Hitze verbracht, waren wilden Tieren begegnet, hatten tausende Insektenstiche kassiert. All das war eine gute Vorbereitung. Auch dass ich beim Anblick der bisher größten Vogelspinne und Tarantel – eine im Schlafzimmer – nicht komplett die Nerven verloren habe, verdanke ich einem halben Jahr Akklimatisierung in Südamerika.
Trotz vieler prägender vorheriger Erfahrungen, durften wir auch hier am Amazonas viele erste Male erleben. Zum Glück – war es doch der Hauptgrund dafür, dass wir überhaupt hierher gekommen waren.
Das erste Mal…
- im Amazonas schwimmen, im mächtigsten Fluss der Welt, im dunklen Wasser, in das man nur 10 cm weit hineinsehen kann
- Klamotten am Fluss waschen. Und Haare. Und den Rest …
- eine Spinne im Zimmer haben (und neben dem Klo), so groß, dass ihre Augen das Licht der Taschenlampe reflektieren
- Flussdelfine (so halb) sehen
- mit Machete im wahrsten Sinne durch den Dschungel schlagen (ok, das hat der Vater Elvio für uns gemacht)
- stundenlang über den Fluss fahren und dabei regelmäßig Wasser aus dem undichten Kajak schaufeln
- wie Kinder vollkommen “von den Eltern” abhängig sein: Gab Mama Alicia uns nichts zu essen, aßen wir nichts! Es gab dort nichts zu kaufen. Keinen – für uns – erreichbaren Laden, kein Restaurant. Wir waren umgeben von Dschungel. 10 Bootsstunden von der nächsten Stadt entfernt. Fuhr Vater Elvio uns nicht mit dem Boot von A nach B, gingen und fuhren wir nirgendwo hin.
- eine ganze Woche ohne Strom, ohne Internet, ohne fließendes Wasser, ohne Spiegel auskommen
- Schüsseln aus Kürbissen herstellen
- Yuca (Maniok) im Garten ernten
- Mit dem Netz Fische fangen
- Eine Bananenstaude im Dschungel ernten
- 15 gelb-blaue Aras im Baum über uns sehen
- nach Krokodilen rufen und von ihnen eine Antwort bekommen
- und und und
Der größte Shitsandwich für uns am Amazonas: Alles hat gebissen! Mücken, Ameisen, Fliegen, kleine schwarze Punkte – ich kriegte pro Tag über 100 neue gemein juckende Stiche 😩
UND: Es gab tagsüber keinen Ausweg aus der Hitze. Keinen Ventilator, keine Klimaanlage, gar nichts. Verharren als einzige Option. Selbst das Flusswasser am Steg wurde am Tag badewasserwarm und taugte nicht zur Abkühlung.
Tiere, die wir gesehen haben:
- Amazonas Delfine
- Gehört: 5 Meter langes Krokodile
- kleine Wasserschildkröte
- große Vogelspinne
- Taranteln im Zimmer, auf dem Klo, in der Küche
- Schwarze Fliegen, die blutig beißen
- Blau-gelbe Aras (viele)
- 2 Toucane
- Viiiiele King Fisher, Adler, Geier, Wildgänse, bunte kleine Vögel
- Etliche kleine Fische
- Bunte Grashüpfer
- Enten, Hühner, Hunde mit Babys, Katzen
Mit vielen Eindrücken aus dem alltäglichen Familienleben am Amazonas haben wir uns vor zwei Tagen auf den Weg zurück Richtung westliche Zivilisation gemacht.
Am Tag der Abreise kam Vater Elvio noch mit einem Grinsen im Gesicht auf uns zu und hielt uns eine kleine Wasserschildkröte entgegen. Er dachte sich, wir hätten vielleicht Freude daran, sie wieder ins Wasser zu lassen. Und wie!
Ewig hin, ewig weg
Wir wussten ja schon, was vor uns liegt. Die ewige Anreise von Leticia in Kolumbien mit Fähre, Boot und Kajak bis schließlich nach über 35 Stunden hierhin lag nun in die andere Richtung wieder vor uns. Nach dem Abendbrot das letzte Mal im Kajak im Dunkeln unter Sternenhimmel mit Fahrtwind im Gesicht etwa eine Stunde über den Amazonas bis zum Ablegeplatz Prado. Dort hieß es drei Stunden lang warten auf das Chasqui, unser Boot, das uns in die nächstgelegene Stadt Nauta bringen sollte. Wie gewohnt hatten wir nirgends Internet. Ging für uns mittlerweile.
Wir unterhielten uns derweil damit, der Entladung eines größeren Transportboots zuzuschauen. Nicht nur gefühlte hunderte Leute waren ausgestiegen. Mit einer nicht enden wollenden Reihe an Packern, die uns an Ameisenstraßen von Blattschneideameisen erinnerten, wurden kontinuierlich Kloschüsseln, Getränke, Essen, Klamotten, Wellblechdächer und Kisten mit allem aus dem Boot getragen. Es ging über Stunden. Unglaublich, was alles auf ein Boot passt! Muss es auch, denn andere Transportmöglichkeiten in diese Gegenden gibt es nicht.

Wieder im Chasqui, das wir schon von der Herfahrt kannten, richteten wir uns so gut es ging für die Nacht ein. Es roch überall nach Füßen. Nicht unseren. Mit Tüchern versuchte ich irgendwie, das grell blendende Deckenlicht aus meinem Gesicht fernzuhalten, um ein wenig Ruhe zu finden.


Im Morgengrauen kamen wir in der kleinen Stadt Nauta an. Eine Tochter von Alicia sollte uns hier empfangen, um uns mit dem Tuktuk zum Colectivo zu begleiten, das uns nach Iquitos bringen sollte. Das hätten wir zwar auch alleine hingekriegt, aber so lernten wir noch ein weiteres Familienmitglied kennen. Rosi, die Schwester, studiert in Nauta Tourismus und will später im Eco-Tourismus arbeiten, wie Vater Elvio.
Per Telefon hatte Mutter Alicia vorab alles mit ihr klargemacht. Unser Erkennungszeichen: los unicos extranjeros – die einzigen Ausländer 😁
In Iquitos holte uns zwei Stunden später ein weiterer Sohn von Vater Elvio mit dem Tuktuk ab und brachte uns ins Hostel. Praktisch, wenn überall Familie verteilt ist 😀

Exotischer Moment: Im Hostel sah ich das erste Mal nach einer Woche mein Spiegelbild im Ganzen. Ein komisches und vertrautes Gefühl. Man schert sich eindeutig weniger, wenn man sich nicht dauernd sieht. Sitzen die Haare? Keine Ahnung, egal.
Können wir bitte weg von hier?
Wir schlenderten noch einmal über den Markt, um uns ein wenig Zeit zu vertreiben, bis nachmittags unsere Fähre nach Leticia ging, von wo aus wir am nächsten Tag nach Panama fliegen wollten.
Ein Mittagsmenü auf dem Markt: 5 Soles (1€). Natürlich nicht vegetarisch, deswegen aßen wir woanders.
Peru soll ein armes Land sein. In den touristischen Knotenpunkten Lima, Arequipa und Cusco hatten wir das zuvor nicht so deutlich wahrgenommen. Hier am Amazonas sahen wir es. Und irgendwann wurde es mir zu viel. Wenn es ums Überleben geht und das vorherrschende Ziel ist, die Grundbedürfnisse nach Nahrung und einem Dach über dem Kopf zu stillen, sind die Prioritäten andere. Das leuchtet mir ein.

Hier auf dem Markt in Iquitos merkte ich allerdings, wie mir die hiesige Lebensweise zu nahe rückte. Verdrängte Bilder und Eindrücke der letzten Tage und vergangenen Monate kamen auf einmal wie eine Welle über mich. Genug hatte ich von toten Hühnern, die mit aufgeschlitzten Hälsen nackt über der Tischkante hingen, neben den Klamottenständen. Genug hatte ich von Bergen ausgestellter gegrillter Tiere, an deren Hände noch die Nägel zu sehen waren. Genug hatte ich von toten Fischen, toten Meerestieren, toten Schweinen. Genug von dem ganzen Tot! Ich wollte das nicht mehr sehen, nicht mehr riechen, nicht mehr hören. Mein Maß war voll. Ich wollte nur noch weg.
Und wiedermal war ich dankbar und machte Gebrauch von meinem wunderbaren Privileg: Ich konnte gehen. Der Flug war zum Glück schon gebucht.
Und so machten wir uns auf zur letzten Etappe. Mittlerweile wissend, was es regulär kostet, zahlten wir fürs Tuktuk zur Fähre dieses Mal nur noch ein Drittel vom Preis bei der Herfahrt.
Das Frühstück auf der Fähre: Brötchen mit Schinken und Kaffee mit 1,5 TL Zucker auf 100ml. Nein danke. Dafür ging dieses Mal alles schneller. Mit der Fließrichtung des Wassers erreichten wir Leticia statt wie hinwärts nach 20 Stunden, dieses Mal schon nach 15 Stunden.
Wir nahmen unser Gepäck in Empfang, duschten ausgiebig, freuten uns wie Kinder über eine Klospülung und eine Klotür, die man zumachen kann und verabschiedeten uns am nächsten Tag von diesem Ort voller Besonderheiten am Amazonas.
Shitsandwich: nach einer Woche Lagerung in tropisch feuchtem Klima stinkt ALLES. Ohrringe & Co. sind zum Teil völlig verrostet und fliegen auf direktem Weg in die Tonne. So reduziert sich unser portabler Hausstand von ganz alleine und wir reisen mit immer leichterem Gepäck…

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