Anflug
In Miami ging es schön los und schön geht es auch weiter. Das karibische Meer von oben ist einfach der Hammer! (unten noch mehr, aber das erfahren wir erst später). Vom Flugzeug aus erkenne ich die einzelnen karibischen Inseln und folge auf der Karte von Google unserem Weg: Vorbei an Montserrat, Guadeloupe, Dominica nach Martinique. Klares, blaues Meer. Ebenso der Himmel. Nur über den einzelnen Inseln sitzen ein paar Wölkchen wie aufgereihte Kissen auf der Couch.
Das Frankreich der Karibik
Martinique. Die Insel, die offenbar jeder kennt, außer mir, bevor wir den Segeltrip gebucht haben, der morgen hier starten soll. Bei der Einreise zeigen wir unsere Deutschen Reisepässe und werden ohne Kontrolle direkt durch gewunken. Nach bisher 14 Grenzübergängen läuft es das erste Mal so.
Es ist alles so französisch hier. Mit Euro zahlen. Europäische Produkte und Preise in den Supermärkten. Es gibt Ferrero Rocher 😍 Und Bio-Produkte 😍 Wir kaufen ein paar Oliven, saure Gurken und Baguette und machen am Abend ein kleines Picknick am Steg mit Blick auf die Marina.
Things are different
Krass, was das macht, einige bekannte Dinge, Produkte und Marken wiederzuerkennen. Nach so vielen Monaten. Es gibt hier Maschendrahtzaun. Und europäische Stecker. Und Klopapier darf im Klo runtergespült werden. Ohne Eimer daneben. Mit dem Bus fahren wir vorbei an Autohäusern von Porsche und BMW…
Es wird mir hier mal wieder so richtig bewusst, was es eigentlich für ein krasser Schock für das ganze (Nerven-)System ist, so lange rausgerissen aus allem Bekannten zu sein. Und durch das ständige Weiterreisen auch immer wieder neu anzufangen. Natürlich kommt man überall irgendwie klar. Trotzdem ist so vieles neu. Andauernd. Und unser Gehirn liebt Neues nicht! Währungen, Obst, Gemüse, Sprache, Worte, Gepflogenheiten, Abläufe, Selbstverständlichkeiten – alles über den Haufen, wenn man seine trauten Gefilde verlässt. Und je weiter sich die Kulturen voneinander unterscheiden, desto weiter entfernt ist alles von dem, was man kennt. „Psychological Distance“ nennt sich der Fachbegriff dafür. Die psychologische Distanz. Der Unterschied im Erleben und Verhalten. Es kann alles so anders sein.
Wie gut, dass wir uns entschieden haben, einen „soften“ Übergang der Kulturen zu nehmen, um uns allmählich auf die Rückreise nach Deutschland vorzubereiten. Nach acht Monaten Exotik. Panama City als Kulturbrücke zwischen Ost und West. Martinique als kleines Erinnerungspraktikum, wie es in Europa zugeht. New York City als Highlight der westlichen Kultur, bevor wir die Weltstadt Hamburg vorerst wieder unser Zuhause nennen werden.
„Ich hab Muskelkater im Hintern. Wovon denn bloß?“, wundere ich mich, als wir uns auf den Steg setzen. Vor uns liegen hunderte Boote zu beiden Seiten vor Anker. Udo: „Wir waren in den Bergen wandern. Das ist noch nicht so lange her. „
Stimmt. Krass. Vorgestern Panama, gestern Miami Beach, heute Martinique. Fühlt sich alles schon viel länger her an. Vom Gefühl her hätten wir auch vor zwei Wochen wandern gewesen sein können, nicht erst vor drei Tagen.
In unserem AirBnB Apartment geht es vertraut weiter: Drahtloser Staubsauger, Wasserkocher, bei dem man sogar die Temperatur einstellen kann. Kaffeemaschine mit Kapseln. Mischbatterie in der Dusche. Warmes Wasser kommt sofort und lässt sich präzise einstellen. Dieses Apartment könnte locker irgendwo in Europa stehen. Sowas haben wir seit Monaten nicht gesehen.
Was uns noch an Europa erinnert: Das Klima ist viel trockener als bisher. Haut, Nase, Rachen, alles fühlt sich bereits spröde und trocken an. An Tag 2 in der Karibik.
Gedanke: Unterschied Urlaub = Erholung, versus Reise = Entwicklung & Wachstum. Martinique ist bisher eher eine Urlaubsdestination. Hier ist (für uns) keine große Anpassung nötig. Hier läuft’s weitgehend wie zuhause. Keine große Herausforderung, eher Chill. Für uns auf Dauer vielleicht ein bisschen zu wenig aufregend, wird Zeit, dass es los geht 😇⛵.
Segeln für Anfänger
Ein Segeltörn. 9 Tage lang. Ohne das vorher mal ausprobiert zu haben 😬 Dass Udo auf seiner Seite wenig Bedenken hat – klar. Aber ich? Wer ist da eigentlich noch dabei? Was, wenn wir uns da voll auf den Keks gehen? Wo sollen wir dann hin? Was, wenn wir die ganze Zeit seekrank in der Ecke liegen? Und womöglich den Anderen den Trip vermasseln? Oder die uns? Was macht man eigentlich den ganzen Tag auf so einem Boot? Wird da die ganze Zeit gesegelt, oder gehen wir auch mal an Land? Gibt’s an Deck ein gescheites Klo? Wie läuft denn das alles?
Also kurzum, wir haben nicht so wirklich eine Idee, was auf uns zukommt. Las sich alles gut auf der Internetseite und die Bilder sahen schick aus. Und Udo wollte mal segeln und auf einem Boot übernachten. Teil seiner Wanna Do-Liste für diese Reise. So here we are. Was mir wichtig war: Es durfte gerne ein Katamaran sein. Nicht, dass ich jemals zuvor auf einem war. Aber auf den Bildern sieht es so aus, als ob man sich da weniger gegenseitig auf den Füßen rumsteht als auf einer kleinen Nussschale. Und weniger wackelig soll es auch sein. Für den Anfang vielleicht ganz hilfreich.
Let’s start sailing!
Pünktlich um 9 Uhr morgens werden wir am Steg von Luca abgeholt, dem Kapitän. Ein Italiener. Er strahlt uns an und begrüßt uns herzlich. Das geht doch schon mal schön los. Gleich lerne ich auch schon das erste neue Wort: Dinghy, das kleine Beiboot, was uns zum Katamaran bringt. So ein kleines Bootchen hat jedes größere Segelboot mit dabei. Aha.
IKIGAI
Kaum kommen wir an unserem neuen temporären Zuhause an, haut es mich fast aus dem Dinghy, als ich den Namen vom Boot lese. Das Boot heißt IKIGAI!!! Ich fasse es nicht.
IKIGAI ist ein japanisches Konzept, das sich mit dem Sinn des Lebens beschäftigt. Es besteht aus vier sich überschneidenden Bereichen:

- Was du liebst (Leidenschaft): Dinge, die dir Freude und Erfüllung bringen.
- Worin du gut bist (Berufung): Fähigkeiten und Talente, in denen du exzellent bist.
- Was die Welt braucht (Mission): Bedürfnisse der Gesellschaft oder der Welt, die du erfüllen kannst.
- Wofür du bezahlt werden kannst (Beruf): Tätigkeiten, für die du bezahlt werden kannst.
Sein persönliches IKIGAI findet man im Schnittpunkt dieser vier Bereiche und es repräsentiert den idealen Zustand, der persönliche Erfüllung, beruflichen Erfolg und gesellschaftlichen Nutzen vereint.
Voll auf die 12! Total mein Thema. Alle anderen Boote haben generische Namen wie „Victoria 2“ oder „Bali“. Nur unseres hat einen Namen mit tieferer Bedeutung. Und dann auch noch ausgerechnet diese. Der Name spiegelt die Philosophie der gesamten Weltumsegelung vom Projekt IKIGAI SAILING wider, bei dem wir ein kleines Stückchen mitfahren dürfen. Noch bevor ich an Bord gehe, weiß ich: Hier bin ich richtig!
Unsere Route: auf der karibischen Seite von Martinique → St. Lucia → St. Vincent und die Grenadinen → Tobago Cays → auf der atlantischen Seite wieder zurück nach Martinique
Willkommen an Bord
Zur Crew gehört noch Damiano, der uns auf der IKIGAI begrüßt, ein Freund von Luca aus Italien und quasi der Matrose an Bord. Zu viert sind wir auch schon komplett und machen uns erstmal mit einander und mit dem Boot vertraut.
Unsere Begeisterung nimmt neue Dimensionen an. Der 14 Meter lange Katamaran vom Typ Catana 47 ist einfach der Wahninn. Unsere Kajüte ist super gemütlich mit direktem Blick aufs Wasser. Wir haben ein großzügig ausgebautes Bad mit geräumiger Dusche – inklusive Meerblick – und ein separates WC mit Spülung, die super funktioniert. Die ersten Befürchtungen bestätigen sich schonmal nicht 😂
Auch die Küche, die Sitzfläche draußen, das Katamaran-typische Netz vorne und nicht zu letzt die mega Segel mit 86 qm 53 qm Fläche wirken absolut imposant und beeindruckend – alles ein TRAUM!!! So SCHÖN!!! Wir sind hin und weg. Schockverliebt in Boot, Crew, Ausblick und den Gedanken, dass wir die nächsten knapp zwei Wochen hier verbringen werden. Was man so lange auf so einem Boot macht? Einfach nur umgucken würde uns wahrscheinlich schon reichen. So toll ist alles 🤩
Anfänger…
Wir segeln los zum Sonnenuntergang. Die Nacht wollen wir durchsegeln, um am nächsten Tag schon an den schönsten Spots im Süden anzukommen und dort die meiste Zeit verbringen zu können.
Die Aussicht vom Boot im Abendlicht ist grandios. Pole Position: Ganz vorne auf dem Katamaran. Wind im Gesicht, Meerblick in alle Richtungen. Die Front des Bootes legt sich schwungvoll in die Höhen und Tiefen der einzelnen Wellen. Es ist wie auf einer riesigen Schiffsschaukel, bei der jede zweite Welle direkt in den Magen geht. Oder als ob man im Auto schnell einen Berg runterfährt. Nach einigen Wellen gehen wir vorsichtshalber mal wieder nach hinten…
Alles klar? Fragt der Captain. Ja, sage ich, und meine es auch so. Er erklärt mir ein paar Details, wie ich am besten mit Seekrankheit umgehe und dass dies hier schon die kräftigsten Wellen sind, die wir haben werden. Schlimmer wird’s nicht. „Should be fine“, antworte ich. „I’m ok“, denke ich da noch.
Eine Stunde später hänge ich das erste Mal über dem Eimer…
Mit starrem Blick auf den Horizont, den man anvisieren soll, um den Gleichgewichtssinn zu unterstützen, sitze ich eine gefühlte Ewigkeit mit Eimer zwischen den Knien da. Noch ein zweites Mal verschaffe ich dem Captain die Gelegenheit, meinen Mageninhalt ins Meer auszuleeren. Ganz toll. Da wollte ich als einzige Lady an Bord in Gegenwart der drei sympathischen Herren zum Start mal einen guten Eindruck machen, da überfällt mich als erstes die Übelkeit in ihrer unschönsten Form. Na besten Dank 🙈😅
Die Nacht ankern wir spontan dann doch vor St. Lucia, damit sich alle Mägen an Bord wieder ein bisschen beruhigen können.
Italian Spirit at it’s best!
Mit zwei Italienern an Bord haben wir den absoluten Jackpot erwischt! Es wird gesungen, gechillt, gespeist. Hier gibt’s nicht einfach Reis mit Zucchini. Hier gibt es Zucchini-Risotto della Nonna wie wir es in den Straßen Roms nicht besser finden könnten. Welch großes Glück, dass die Römer an Bord ihre Kochkünste in die Karibik mitgebracht haben – und uns daran großzügig teilhaben lassen 😁

Und ein Glück ist es wirklich. Seit Monaten haben wir hauptsächlich auswärts gegessen. Große Vorräte lassen sich bei ständiger Weiterreise nicht anlegen und die Küchensituationen in den Unterkünften luden in den seltensten Fällen zu ausschweifenden Kocharien ein. Somit beschränkten sich unsere eigenen kulinarischen Kreationen hauptsächlich auf zwei Komponenten: schnell und einfach.
Was man für zwei Wochen Schiffsreise in der Karibik für vier Erwachsene am Anfang alles einkaufen muss? Keine Ahnung. “No problemo“ heißt es da zu unserer großen Freude. Damiano ist Profi, mit eigenem Restaurant in Rom. Wir sind in besten Händen 😋
Alltag auf der IKIGAI
Die Zeit vergeht schnell, wenn’s schön ist. Auf dem Wasser erwachen, mit Yoga an Deck in den Tag starten, den Meerblick beim Frühstück genießen, um das Boot herum schnorcheln, Schach spielen mit Meeresbrise um die Nase, arbeiten, wenn der Seegang es zulässt, weiter segeln. Besonderer Bonus an Bord: Starlink Internet mit bester Verbindung mitten auf dem Meer.
Shitsandwich an Bord: Die Medaille hat immer zwei Seiten…
- Wellen an Salzwasser schwappen während der Fahrt durch offen gelassene Fenster. Wahlweise durchs Fenster im Kleiderschrank, weshalb ALLE Sachen im Regal klatschnass werden. Nur meine liegen da, natürlich 🤦♀️
- Wenn keine Wellen reinkommen, regnet es rein, weil irgendein Fenster immer nicht richtig zu ist 🤦♀️
- Von „juchuuu, wir segeln, guck mal, die tollen Wellen“ hin zu 🤢🤮 in unter einer 30 Minuten…
- Nach ein paar Tagen ist alles irgendwie salzig, vor allem die Klamotten
- Es schaukelt an Bord. Die GANZE Zeit. Beim Kochen, beim Essen, beim Duschen. Wenn man Sport macht, wenn man Einkäufe wegräumt, wenn man auf dem Klo sitzt, wenn man im Bett liegt. IMMER. Fußläufige Fortbewegung auf dem Boot sieht oft aus wie bei einem Betrunkenen der Heimweg nach der Kneipe…
Das Wunderbare am Segeln: Wir können an Land gehen, wo und wann wir wollen. So machen wir noch einen Stopp am Princess Margaret Beach auf der Insel Bequia, bevor wir unser vorläufiges, Hollywood bekanntes, Ankerziel für die nächsten Tage erreichen …
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