workation Diary

#8 Solo-Life in Mérida

Goodbye and Welcome

Da Udo eh über die Stadt Mérida den Flughafen Shuttle nimmt und ich mir für die 10 Tage ohne ihn einen Ort mit ein bisschen mehr Komfortzone (aka. Infrastruktur, Essen, Menschen, …) wünsche, gebe ich der Stadt Mérida noch eine Chance. Unser erster Eindruck im Hotel vor ein paar Tagen war zwar nicht der Hit, aber das kann ja nicht alles gewesen sein. Außerdem hab ich die Stadt viel netter und schöner in Erinnerung von meinem ersten Besuch vor sieben Jahren.

Auf der Karte markiere ich alle Orte, die mir mein Studienfreund Rodolfo empfohlen hat. Er kommt von hier und somit habe ich schonmal beste Insider Tipps für meinen Solo-Trip. Lustigerweise liegen fast alle Empfehlungen für Restaurants und Sehenswürdigkeiten im Stadtteil Santa Ana (hehe, zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass das nicht der letzte Ort namens Santa Ana sein wird, den wir besuchen werden… ;) ). Direkt im Zentrum von Santa Ana finde ich auch noch ein total nettes AirBnB – wenn das mal nicht ein Volltreffer ist.

Bei Maria finde ich mein neues Home Away From Home. Super gepflegt und sauber, mit eigenem Bad und eigenem Zugang zum Garten mit Pool. Und die Küche ist auch noch – nach meinen Maßstäben – ziemlich gut ausgestattet, was wirklich keine Selbstverständlichkeit ist. Trotz des Gefühls von Katzenjammer aufgrund des Abschieds von Udo am Morgen, bin ich optimistisch, dass ich es hier einige Tage aushalten kann. Und weil es noch früh genug ist, starte ich sogar noch am selben Morgen mit einer Work-Session im Café, das mir Rodolfo empfohlen hat. Coole Musik, stilvolles Ambiente, schöner Garten, Zimtschnecke und guter Kaffee. Check, der Spirit ist wieder da!

Die nächsten Tage verbringe ich mit arbeiten im Café oder im kühlen Zimmer, rumlaufen, in etliche Tiendas (kleine Läden) sneaken, mich viel zu oft fragen lassen, ob ich ein Souvenir kaufen will, Historische Gebäude anschauen, Fotos machen, telefonieren, Emails beantworten, essen gehen. Mérida hat wirklich viele schöne Ecken zu bieten. Schade, dass es tagsüber oftmals viel zu heiß ist für längere Entdeckungstouren.

Eine Szene in Mérida

Ich laufe nur so eine Straße entlang und werde plötzlich von einem freundlichen Mexikaner um die 50 angesprochen, der ohne weiteres Intro einfach anfängt zu erzählen, welche Gebäude uns umgeben, was es damit auf sich hat, was es weiter unten die Straße zu erleben gibt, was morgen im Stadtzentrum passieren wird und dieses noch und jenes noch und übrigens.

Dieses Phänomen ist mir hier schon öfter begegnet, dass jemand ungefragt einfach anfängt zu erzählen. Durchaus Interessantes. Und aus unterschiedlichsten Themengebieten, von denen es im motivierten Erzählstrom gerne nahtlos von einem ins nächste Thema übergeht. In anderen Kulturen völlig normal. In meiner eher unüblich, zumindest nach meiner Erfahrung. Schade eigentlich, kommt man doch so total gut ins Gespräch und schafft Verbindung zwischen den Menschen und Kulturen. Besonders angenehm (und immer wieder leicht überraschend) finde ich jedes Mal, dass am Ende eines solchen Gesprächs gar kein Angebot oder gar eine Aufforderung kommt, etwas zu kaufen oder wenigstens mit einem Trinkgeld rauszurücken (so kenne ich es aus vielen touristischen Regionen in vielen Ländern). Auch andere Hintergedanken lassen sich für mich nicht erahnen. Nein, hier scheint das wirklich der Stolz auf die eigene Stadt, das Land, die Kultur zu sein. Und die Freude, diesen Stolz mit Gästen zu teilen. So mache ich mir zumindest den Reim daraus. 

Eine spirituelle Begegnung

Auf ähnliche Weise läuft es in der Hacienda Sisal, einem mehrgeschossigen Markthaus mit allem rund um die zeitgenössische und traditionelle Maya Kultur. Sogleich wird Romen zu meinem erzählenden Begleiter, als ich das Haus betrete. Er geht selbstverständlich mit mir die Treppe hinauf und erklärt, dass er mir jetzt alles erklären wird, was ich wissen will. Ich komme gar nicht in die Gelegenheit, ihn abzuwinken. Und ich verstehe ihn sprachlich sehr gut, er gibt sich, glaube ich, Mühe langsam und verständlich zu sprechen. Na gut, warum nicht, denke ich mir, kann ich ja was lernen, auf Spanisch und über die Mayas. 

Und was alles!

Romen instruiert mich, verschiedene Liege- und Sitzpositionen auf der Maca auszuprobieren, der Hängematte, auf der alle Mayas ihr Leben lang schlafen. Da hat niemand ein Bett zuhause! So wird es zumindest erzählt. Tatsächlich finde ich die Hängematte ganz bequem, aber auf ein Bett würde ich trotzdem nicht verzichten wollen. 

Von den vielen Details, die ich an diesem Tag lerne, bleibt mir der spirituelle Teil am meisten im Gedächtnis. Verbindung zu sich selbst, zu anderen Menschen, Lebewesen und der Natur steht in der Maya Philosophie im Zentrum. Alles ist Energie. Auch Meditation gehört zur täglichen Praxis. Nur müssen die Mayas sich nicht in bestimmter Art und Weise hinsetzen und die Augen zu machen, berichtet Romen, als ich ihn auf die Parallelen zur Yogi Welt anspreche. Meditation passiert die ganze Zeit. Beim Gehen, beim Sprechen mit anderen, beim Essen. Es geht um die Verbindung, um die Energie. Und die ist immer und überall. 

Auch der Tod wird nur als weitere Station gesehen, bei der der Körper wieder eins mit der Natur wird und die Energie eine neue Form annimmt. Unsere Energie fließt immer dahin, wo sie am meisten mit uns resoniert. 

“Wo fühlst du dich am wohlsten?”, fragt mich Romen. “Wo ist deine Energie am besten?” “Am Wasser, am Meer”, antworte ich. “Siehst du, dann wird deine Energie dorthin fließen, wenn du stirbst. Zum Wasser”. Ein schöner und tröstender Gedanke, wie ich finde. Nach den aktuellen Nachrichten aus Deutschland auch ein sehr passender Zeitpunkt dafür. 

Auch die Mayas ehren ihre Verstorbenen. Anders als in der mexikanischen Kultur, wird dieses Zeremoniell aber nicht in Form von Festen gefeiert (Stichwort Día de los Muertos, der Tag der Toten, einem der größten und bekanntesten Feiertage des Landes – ironischerweise an meinem Geburtstag). Die Mayas nutzen diese Zeit hingegen als Phase des Innehaltens, des Reflektierens, der Neuausrichtung, des Respekts. Es ist eine leise Tradition, im Gegensatz zum lauten Fest im ganzen Land.

Wahnsinn, denke ich mir. Einer dieser Momente. Ich stehe hier alleine mitten in einem Raum voller Kunstfiguren, Schmuck und Artefakte aus der Maya Kultur und führe ein Gespräch über Spiritualität. Wie häufig mit Menschen, die sich aktiv mit ihrer Spiritualität beschäftigen, entsteht sehr schnell eine starke Energie zwischen uns. Nichts Sexuelles, nur so, dass ich das Gefühl habe, dass es sehr intensiv ist und ich in viel tiefere Schichten hinein gesehen werde. Ein merkwürdig schönes und gleichzeitig beängstigendes Gefühl, angesichts der Situation: Mit einem Fremden in Mexiko und dann noch auf Spanisch das Ganze.

Würden wir sowas zu zweit auch erleben? Haben wir unsere Antennen derart auf Empfang, wenn wir als Paar unterwegs sind? Oder sind das Momente, die mir nur allein passieren, und von denen ich nur erzählen kann, weil sie niemand Bekanntes sonst miterlebt? Mal sehen, ob ich am Ende der Reise dafür eine Antwort habe. 

Alltag in Mérida

Die folgenden Tage sind hauptsächlich von Arbeit geprägt. Ich nehme meinen ersten digitalen Workshop auf (yaaaaaaayyyyy!!!!) und lerne auf diesem Wege alles Mögliche über externe Mikros, gute Bildeinstellungen und wiiieeeee laaaaaaaaange der Prozess dauert, bis mal alles passt und schick im Kasten ist. 

Zwischendurch laufe ich hier und da mal in eine Richtung durch die Straßen Méridas. Die extreme Hitze tagsüber sorgt leider dafür, dass meine Ausflüge nicht von langer Dauer sind. Dass ich hier nicht sofort als Tourist auffalle, kann ich mal komplett vergessen: Die Alltagskleidung der Locals besteht bei 37 Grad im Schatten hauptsächlich aus Jeans und T-Shirt oder Bluse/Hemd, dazu Sneakers oder andere feste Schuhe. Trotz der intensiven Sonne sehe ich nahezu keine Kopfbedeckungen oder gar Sonnenbrillen bei anderen Leuten. Da rage ich mit Hut, Top, Shorts und Flipflops komplett raus (mal abgesehen von meiner Körpergröße und Haarfarbe). So viel zu: Hier soll keiner merken, dass ich nicht von hier bin – eigentlich meine favorisierte Reisephilosophie. Lässt sich nur meistens nicht so richtig realisieren. 

Life abroad

Ich komme mit meiner Vermieterin Maria, einer lieben Kanadierin Mitte 50 ins Gespräch. Bei einem italienischen Abendessen – wir wollten beide mal eine Pause vom mexikanischen Essen – erzählt sie, wie sie vor 30 Jahren das erste Mal Yucatan besuchte und sich in die Natur, die Architektur und traditionelle Maya Kultur verliebte. Vor 7 Jahren hat sie sich dann ein zweites Wunschzuhause verwirklicht und in Mérida das Haus gekauft, in dem ich gerade vorübergehend wohne.

“Hattest du nicht Angst, dass du voll über den Tisch gezogen wirst, so mit allem?”, frage ich sie, als sie mir von dem Kauf und den umfangreichen Umbauarbeiten des Hauses erzählt. “Doch klar, aber abgezogen wirst du auch in Kanada und sonst überall auf der Welt”, sagt sie und lacht. Was für eine mutige und weltoffene Einstellung, da bin ich echt beeindruckt. Dass die Bauarbeiter mit ihren Macas, also den Hängematten anreisen, und darin die ganze Woche über auf der Baustelle übernachten, bis alles fertig ist, lässt mich umso mehr staunen. Ich überlege mir, wie diese Szene wohl in Deutschland aussehen würde 😝

Beeindruckt von Marias Power, die als Person auf ersten Blick für mich einen eher zarten und zurückhaltenden Eindruck gemacht hatte, wird mir bewusst, dass ich gefühlsmäßig gerade gar nicht in meiner Mitte unterwegs bin. Am liebsten ziehe ich mich momentan in mein klimatisiertes Zimmer zurück. Nach Leute kennenlernen und Abenteuer erleben ist mir gar nicht. Ich fühle mich eher überfordert. Das bedrückende heiße Klima, die Zeit ohne Udo, die tragischen Nachrichten von Zuhause. Irgendwie fühlt sich gerade alles schwer an. Sogar die Vorstellung, als nächstes in die tolle Gebirgsgegend Chiapas weiterzureisen, von der alle schwärmen und von wo aus man unzählige Wander- und Erlebnistouren in alle Richtungen unternehmen kann. Lieber will ich wieder ans Meer, an den Pazifik, in ruhigere Gegenden. Hauptsache Wasser, und nicht so viel Action. 

Challenge accepted

Mit Udo bespreche ich die verschiedenen Optionen am Telefon. Wir beschließen, uns in der Stadt Oaxaca an der Pazifikküste wiederzutreffen, wohin wir beide einen Flug buchen (anstatt 25 bzw. 30 Stunden im Bus zu verbringen, der kaum günstiger ist). Das ist die komfortabelste Reiseoption und gleichzeitig die, vor der ich gerade am meisten Schiss habe. Meine Komfortzone, was Flüge buchen und alleine fliegen angeht, ist irgendwie ganz schön klein geworden. Vor allem, seit ich so eine attraktive Reisebegleitung habe, die auch noch gerne das Buchen für uns beide übernimmt… Mit 24 habe ich sowas locker flockig gemacht, und mit fast 34 mach ich mir dabei fast ins Hemd?! Gefällt mir nicht. Also hingesetzt, Flug gebucht, Hostels gecheckt, Taxi zum Flughafen organisiert. Übermorgen geht’s los. 

Übermorgen

Um 2:20 klingelt der Wecker zum ersten Mal. Ich hab eh nicht richtig geschlafen aus Sorge, ich könnte den Wecker überhören und den Flug verpassen. Hallo liebe Komfortzone, lass uns doch bitte wieder Freunde sein. Vorsichtshalber hatte ich abends das Taxi doch noch mal eine halbe Stunde früher bestellt, damit ich mehr Zeit am Flughafen habe, da der online Check-In nicht funktioniert hat. Auch auf der Webseite der Fluggesellschaft konnte meine Buchungsnummer im System leider nicht gefunden werden. Geil. Genau die Meldung, die man sich wünscht, wenn man nach langem mal wieder selber einen Flug bucht und die Organisation, wenn was nicht funktioniert, nicht an seinen Freund outsourcen kann.

Naja, jedenfalls pünktlich los und um 3:10 Uhr am Flughafen für den Flug um 5:25 Uhr. Ich versuche vergeblich mich ins Wlan einzuloggen. Dass ich hier mit mexikanischer Simkarte 4G haben soll, entspricht leider nur Theorie und nicht Tatsache. Um 3:12 Uhr klingelt auf einmal mein mexikanisches Handy. Ich stehe bereits in der kurzen Schlange zum Check-in, bin eine der ersten. 

Undeutliches Englisch am anderen Ende, bis wir uns schließlich auf “please very slowly” einigen können. Mein Ticket wurde storniert. Die Zahlung ging leider nicht durch, for “unknown reason”. Na das ist ja mal eine Überraschung, sowas ist auf der Reise ja noch gar nicht passiert 🙄… Hin und her und hin und her zwischen akustisch nicht verstehen, Neubuchung und erneuter Cancellation. Sowohl Elvis am Telefon (sein richtiger Name) und ich bleiben während unseres 34-minütigen Gesprächs erstaunlich geduldig und unaufgeregt. Schließlich zahle ich den Flug am Schalter in Cash erneut und vertraue darauf, dass mir die erste online Zahlung rückwirkend zurückerstattet wird (Deja-Vu, here we go, liebe Lufthansa, wie ist da eigentlich der Stand der Rückerstattung unserer Deutschland-Mexiko-Flüge mittlerweile?!).

Den Hintern rettet mir in diesem Moment, dass ich genug Bargeld dabei habe und bei der Flugbuchung Buchung meine mexikanische Telefonnummer angegeben habe, sodass Elvis mich überhaupt erreichen konnte. Morgens um 3:30 mit dem ganzen Gepäck am Schalter, Handy mit Elvis dran am Ohr und im Gespräch mit zwei mexikanischen Flugbegleitern vor Ort, regele ich also – vergleichsweise souverän –, dass ich meinen Flug nach Oaxaca final doch noch nehmen kann. Wenn ich jetzt mal nicht ordentlich gewachsen bin in meiner Komfortzone. Chacka, das geht also alles doch auch noch ohne Mann 🤪

Also Goodbye Mérida. Oaxaca: Nos vemos!


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Kommentare

4 Antworten zu „#8 Solo-Life in Mérida“

  1. Avatar von Renate und Arwed
    Renate und Arwed

    Na, das hast du gut gemeistert! Ganz schön mutig! Spannend erzählt! Weiter so!

    1. Avatar von Anna
      Anna

      Dankeschön, das freut mich :)

  2. Avatar von Renate und Arwed
    Renate und Arwed

    Hallo, ihr Beiden!
    Danke für die tollen Berichte, Bilder, Eindrücke, danke, dass wir daran teilnehmen dürfen!
    Ihr macht das sehr gut- finden wir- und freuen uns über das, was noch kommt!
    Wir sind gespannt!
    Euch wünschen wir noch viele schöne Erlebnisse!

    1. Avatar von Anna
      Anna

      Wie lieb, danke euch beiden :) Wir freuen uns, dass wir euch ein bisschen auf unsere Abenteuer mitnehmen können.

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