workation Diary

#20 La Vida en León

Estudiamos el Español

Noch vom ersten Hostel aus habe ich mir für eine Woche einen Sprachkurs organisiert. Neben vielen Dingen, die ich hier kompliziert finde, war dieses Projekt kinderleicht: Poster gesehen, Whatsapp hingeschrieben, ob ich am nächsten Tag starten kann, fertig. Und so komme ich in den Genuss von fünf Tagen Privatunterricht bei meiner lieben Lehrerin Clara.

So treffen wir uns also jeden Morgen um 9 Uhr und gehen recht zügig nochmal alle möglichen Zeiten und ein paar lokale Spezifika des Spanischen durch. Claras Unterricht gefällt mir gut. Sie spricht kaum Englisch, wodurch wir ausschließlich auf Spanisch kommunizieren.
Wenn ich was Falsches sage (also dauernd 😂), fängt sie an mit “Okay” und erklärt es dann nochmal richtig. 

Neben dem, dass sie mir hilft, meine Spanischkenntnisse ein Stück weiter zu reaktivieren, erfahre ich auch einiges über das lokale Leben in Nicaragua und speziell hier in León. Die Grundschule dauert hier sechs Jahre, danach folgen fünf Jahre Highschool. Wer die Möglichkeit hat, geht danach studieren, so wie Clara. Mit mehreren Generationen zusammen zu wohnen, ist völlig normal. Clara wohnt mit 31 im selben Haus wie ihre Mutter und ihre beiden Schwestern mit deren Kindern. Die Männer wohnen in anderen Orten. Die Eltern werden hier mit Usted (Sie) angesprochen. Clara findet erstaunlich, dass wir unsere Eltern in Deutschland duzen. Ich wiederum kann es mir gar nicht anders vorstellen. 

Die schönen Seiten

Nach dem Sprachunterricht ist das vegane Restaurant Coco Calala mein Lieblingsanlaufpunkt. Der Maracuja-Basilikum-Drink ist der Hammer und auch das Essen schmeckt und tut hier einfach richtig gut, was ich nach den Erfahrungen der letzten Zeit besonders zu schätzen weiß. Außerdem erlebe ich meine mit Abstand unterhaltsamste und interessanteste Free-Walking-Tour in der Stadt: Leo aus León, du bist der geborene Stadtführer! 

Erneut, wie auch schon vor sieben Jahren, klettere ich für die Aussicht die enge Treppe hinauf auf das Dach der weißen Kathedrale (die nicht mehr ganz so weiß ist, wie damals) und genieße den Blick in die Weite, über die Stadt und den Sonnenuntergang am Horizont. Die Stadt ist umgeben von Regenwald, was mir gar nicht bewusst war. Erklärt aber das feuchte Klima und die vielen Mücken.

Auch kaufe ich mir in einem der unzähligen Secondhand Läden einen extra dünnen Rock für umgerechnet 70 Cent und habe ab jetzt auch mal ein Kleidungsstück, was bei diesem Klima nicht permanent an den Beinen klebt. Außerdem wechsele ich nochmal das Hostel und finde so einen passablen Kompromiss mit schönem Ambiente, eigenem Zimmer und ein bisschen Gesellschaft von anderen Reisenden, denn die suchte ich zuvor vergebens.

Besonderes Highlight: Zwei Schildkrötchen sind dort in den Gemeinschaftsbereichen unterwegs. So begegnet mir das eine oder andere Mal ein Panzerchen in der Küche oder kriecht vorbei, als ich am Pool sitze und eine Serie in der Mediathek anschaue. 

Zeichen für einen deutlichen Unterschied in der Entwicklung eines Landes 

Die sozialistische Regierung ist seit über 40 Jahren in den Händen derselben Familie, die Allianzen mit Kuba, Russland und China pflegt. Offiziell herrscht in Nicaragua die Demokratie. Die aktuelle Bevölkerung setzt sich aus 5% reichen Familien, 35% Mittelschicht und 60% der Menschen zusammen, die unterhalb der Armutsgrenze leben und weniger als 200 Euro im Monat zur Verfügung haben. Manche haben gar kein Einkommen. 16% der Menschen können nicht lesen und schreiben. Insgesamt gehört Nicaragua damit zu den ärmsten und am wenigsten entwickelten Ländern Zentralamerikas. Das macht sich auch während meines Aufenthalts im Land deutlich bemerkbar, vor allem im Vergleich zu den benachbarten Ländern: 

  • Schwieriges und langwieriges Prozedere an der Grenze. Viel gefühlte Schikane und nicht gerade einladend für ein Land, das Tourismus als starke wirtschaftliche Säule hat.
  • Aircondition im Zimmer kostet extra (zum Teil den Zimmerpreis nochmal) 
  • Das Internet ist deutlich schwächer (streamen ist häufig nicht möglich)
  • Bezahlen: Man kann oft nicht mit 50 oder 100 USD Scheinen bezahlen, weil diese zu groß sind und nicht gewechselt werden können. US Dollar werden akzeptiert, aber meist nur kleine Scheine und auch keine USD Münzen. Mit 25 Cent-Stücken in Cordoba kann man auch nicht zahlen, diese sind wohl zu klein. Erklärt, warum diese Münzen überall auf der Straße zu finden sind und sie (außer mir) niemand aufhebt.. Achja, und Geldscheine, in denen kleine Risse sind, werden auch nicht gerne angenommen – selbst, wenn sie von der Bank kommen. Blöd, dass das Papier hier die Konsistenz von vertrocknetem Laub hat und super schnell einreißt…
  • Pferdewagen werden als Lastentransport oder Taxi eingesetzt
  • Guter Kaffee geht nach Deutschland und in andere Länder, auch, wenn die Kaffeepflanzen hier wachsen. Dafür geben die Leute aber kein Geld aus, lieber für Rum (erfahre ich aus der Stadtführung von einem lokalen Guide), der kommt auch von hier.
  • Die lokale Ernährung ist erneut geprägt von Fleisch, Zucker und Frittiertem. Coca Cola und Chips sind überall zu bekommen. Einen Salat finde ich nur in Restaurants, die auf Touristen spezialisiert sind – mit entsprechenden Preisen

Was mir sonst noch auffällt: 

  • Shampoo & Co ist teurer als in Deutschland. 3,50 € ist im Supermarkt das billigste Angebot für 200ml
  • Es gibt keine sichtbaren indigenen Traditionen oder Gewänder in den Städten von El Salvador und Nicaragua. Die Kleidung ist durchgehend westlich und es wird ausschließlich spanisch gesprochen 
  • Lange Klamotten!!! Bei über 35 Grad im Schatten und einer durchdringenden Schwüle trägt man auch hier lange Jeans, darüber T-Shirt oder Hemd und gerne noch eine Jeansjacke. 
  • Auf den Straßen läuft man quasi direkt am Wohnzimmer der Menschen vorbei. Verzierte Gittertüren gewähren meist direkte Einblicke in die persönlichen vier Wände, in denen schwere Schaukelstühle aus Holz anscheinend niemals fehlen dürfen. 
  • Auto heißt hier nicht coche sondern carro; coche ist hier die Pferdekutsche
  • Die Früchte Rambutans heißen hier nicht Rambutanes (wie zuvor), sondern Mamones Chines
  • Krach machen scheint hier ein Ding zu sein: Lautes und ständiges Hupen auf der Straße, auch wenn sonst niemand da ist, ist hier offenbar besonders cool. Hauptsache laut. 
  • Sportliche Betätigung sehe ich höchst selten 
  • Habe ich vor sieben Jahren mein Smartphone noch häufiger in der Tasche gelassen, weil ich weit und breit die Einzige mit diesem Gegenstand in der Hand gewesen wäre, hat das Gerät mittlerweile Einzug in alle Schichten der Gesellschaft gehalten und ist durchweg sichtbar auf der Straße. 

Exotic Moments

  • Ich sitze am Pool und höre was kauen. Dann macht es „Klong“ und neben dem Pool ist die kleine Schildkröte vom Rand des Beetes runtergefallen und versucht’s gleich wieder hoch. 
  • Ich finde eine kleine Frucht auf dem Boden vorm Zimmer und sage so: „Hey, das sieht ja wie eine Sternfrucht aus“. „Ja, die ess ich hier seit zwei Tagen zum Frühstück“, heißt es daraufhin aus einer anderen Ecke und ich kriege den Kercher gezeigt, mit dem man die Früchte mal eben ernten kann. So ernte ich in fünf Minuten acht solche Dinger vom Baum. Unter dem ich schon stundenlang gesessen habe und gar nicht mitgekriegt hab, was alles daran wächst. Öfter mal nach oben gucken, also 😉

Shitsandwich

  •  Täglich körperlich quasi dauerhaft im Unwohlsein ausharren. Es läuft mir gerade runter, obwohl ich im Schatten stehe.
  • Mücken!
  • Reiseplanung: fast immer die Katze im Sack buchen müssen, was Ort, Unterkunft und Touren angeht: Wie es wirklich ist, weiß man erst, wenn es soweit ist.
  • Bei Unterkünften: mehr als zwei Nächte am Stück buchen ist riskant, kann sich nämlich als Vollkatastrophe rausstellen. Andererseits, wenn es schön ist, kann man Pech haben, dass man nicht verlängern kann und fängt nach zwei Tagen wieder die Suche an mit der Katze und dem Sack und so…
  • Zimmer: Haken an der Wand ist Luxusausstattung
  • Von dem Gedanken an warmes Wasser aus der Dusche oder Wasserhahn darf man sich hier sehr schnell verabschieden

Wenn man einmal Pläne macht…

Nicaragua war eigentlich gedacht als das Land, in dem wir uns länger aufhalten wollten, um uns hauptsächlich unseren Arbeitsthemen zu widmen. Schon länger begleitete uns das Gefühl, dass wir unseren Projekten hinterherrennen und eine immer größere Welle an Wanna Do’s vor uns herschieben. Der Plan war, vor diese Welle zu kommen, um die weitere Reise noch mehr genießen zu können.

Wie schon häufiger auf dieser Reise, durften wir lernen, dass unsere im Kopf zurechtgelegten Pläne nicht unbedingt mit der Wirklichkeit kompatibel waren. Konkret macht mir das feucht-heiße Klima erneut derart zu schaffen, dass an Produktivität kaum zu denken ist. Die drei Stunden Sprachkurs am Tag reizen mein Energiekontingent völlig aus. Anders als in den heißen Orten vorher, gibt es hier kein richtiges Entkommen, denn Aircondition im Zimmer ist eine (teure) Seltenheit, es kühlt nachts kaum runter, und die Hitze findet ihren kühlsten Punkt bei ca. 29 Grad. Auch das Meer ist als Abkühlung nicht unmittelbar erreichbar.

Wieder tue ich mich auch mit dem lokalen Essen schwer, denn ich finde kaum gesunde und vegetarische Optionen. Am heißen Herd stehen ist bei diesen Temperaturen auch keine attraktive Option. Bis auf Oberflächliches ergibt sich zudem auch kein wirklicher Austausch mit anderen Reisenden, oder sie ziehen gleich wieder weiter. Und auch zur lokalen Bevölkerung finde ich keinen richtigen Zugang.

Udos Zusammenfassung meiner Schilderungen: “Du hast ja schon die Nase voll, bevor ich überhaupt da bin.” Bei allem Bestreben um die Ausweitung meiner Komfortzone kann ich da leider nicht widersprechen. Die in Zeit und Geld völlig ungünstigen Flugverbindungen von Deutschland nach Nicaragua zahlen auch nicht auf eine Meinungsänderung ein. Und somit hält wieder mal die unbequeme Frage Einzug, die uns in den letzten zwei Monaten schon einige Mal begleitete:

Was jetzt?

Die Aussicht weiter in dieser Klimaregion zu verweilen oder sie sogar noch drastischer zu erleben (ich erinnere mich, dass wir aus Costa Rica kommend Nicaragua damals als angenehm kühl und trocken empfanden…), schnürt mir eher die Brust zu, als dass ich mich darauf freue. Es ist auch erstaunlich zu erleben, wie schnell einige unbequeme Tage die Sinnfrage in mir hervorbringen können: Warum machen wir das alles hier noch mal? Monatelanges Planen, Organisieren und Vorbereiten dafür, hier in der erdrückenden Hitze zu verharren? Hello Monkey Mind, da bist du ja wieder 😜

Ein liebes Gespräch nach Hause sorgt hier für eine neue Perspektive: „Warum suchst du dir denn auch eines der härtesten Länder aus? Wie wäre es denn mit Kolumbien? Das wird dir gefallen, es euch an nichts fehlen.“

Der neue Impuls trägt Früchte und so weichen wir ein weiteres Mal von der ursprünglichen Route ab und unsere Wahl fällt auf die Stadt Medellín in Kolumbien, von der es heißt, dass sie sich ganzjährig wie ein deutscher Frühling anfühlt. Wenn das mal nicht erquickende Aussichten sind 🙃 Sofort stellt sich bei mir die Vorfreude wieder ein: Wir haben einen Plan. Einen nächsten Schritt. Und viele neue erste Male, denn in Kolumbien war ich vorher noch nicht. 

Gedanke: Interessant, was Entscheidungen bewirken können: Den Anschluss in ein neues Land zu buchen fühlt sich ähnlich an, wie einen Job zu kündigen: Plötzlich kommen nostalgische Gefühle auf, viele schöne Dinge drängen auf einmal in den Vordergrund. Nochmal alles Schöne im jetzigen Land tief aufsaugen, denn es ist ein Abschied. Ob ich jemals nochmal hier sein werde? Keine Ahnung. Auch wenn es gute Gründe gibt zu gehen, gab es ja auch Gründe zu kommen und die sind nicht automatisch weg. Ich empfinde plötzlich mehr Sympathie für das Land, in dem ich gerade bin, obwohl ich meinen bisherigen Aufenthalt vor allem als emotionales Straucheln zusammenfassen würde – auch wenn man das auf den schönen Fotos vielleicht nicht so sieht. Ich freue mich sogar, dass ich noch ein paar Tage übrig habe, bevor ich nach Kolumbien abfliege. Auf jeden Fall möchte ich noch den Strand besuchen und einen Abstecher in Nicaraguas schönste Stadt Granada machen, liegt sogar näher am Flughafen. 


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Kommentare

Eine Antwort zu „#20 La Vida en León“

  1. Avatar von Renate und Arwed
    Renate und Arwed

    Oha! Das alles klang nicht sehr gut, dann die Sinnfrage und so! Ich hoffe, dass es in Columbien besser wird, bin sehr gespannt! Grüße Renate

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