workation Diary

#28 Weltwunder

Unser enger Zeitplan gibt ein vor, dass wir nach der Tour im Colca Canyon gar nicht lange verweilen, sondern direkt im Anschluss den Nachtbus nach Cusco nehmen. Immerhin müssen wir dabei nicht viel machen und es geht auch, wenn man voll fertig ist. Udo findet das sogar vorteilhaft: Dann schläft es sich im Nachtbus besser – der ist mehr Bus als Bett und die Fahrten sind nur semi-erholsam.

Zieh dich schonmal warm an…

Vorsichtshalber habe ich für die Fahrt schon mal alles an wärmendem Textil zusammengeklaubt, was wir haben: Alle dünnen Jacken, den Poncho, Mütze, Socken, zwei Decken aus dem Flugzeug. Es soll ja kalt sein in Cusco. Die Wetter-App kündigt die ganze Woche 0-10 Grad an. Unsere Garderobe ist auf 20-35 Grad ausgelegt. Und ich bin nicht sicher, ob die Busse geheizt sind. 

Meine Befürchtung trifft in der Bergregion auch direkt zu. Es ist mal richtig kalt, als sich der Bus durch die Kurven der peruanischen Anden windet. Wenn ich ausatme, sieht man das. Alle Scheiben sind komplett beschlagen, draußen ist es stockdunkel. Alle Stofflagen wickeln uns ein und so geht es gerade. Ohje. Und das ist erst die Anreise. Wie sollen wir denn in Cusco überleben? Wir haben überhaupt keine Klamotten für Wintertemperaturen dabei. Und wir können auch nicht jeden Tag ALLES anziehen. Das kann ja was werden… 

In aller Frühe kommen wir in Cusco an. Zum Glück können wir direkt ins Zimmer und holen erstmal ein paar Stunden Schlaf nach – diesmal auf einer Unterlage, die sich nicht bewegt. 

Voll prepared im Zwiebellook fühle ich mich schließlich gewappnet, nach draußen zu gehen. Hunger ist ein guter Motivator, es mit den Naturkräften aufzunehmen und der Kälte zu trotzen. Zielstrebig steuern wir das nächstgelegene vegane Restaurant, Vida Vegan, an. Sie haben sogar einen Balkon in der Sonne.

Und dann die Erkenntnis: Sag mal, ist es eigentlich gar nicht kalt hier? 

Wir gucken auf die Wetter-App und finden die Bestätigung. Haha, 22 Grad in Cusco. Nichts mit einstelligen Werten! Erklärt auch, warum sich unter den Stoffschichten schon der eine oder andere Rinnsal anfängt zu bilden: Das liegt nicht (nur) daran, dass man in Cusco fast ununterbrochen ordentlich Höhenmeter macht, sondern auch daran, dass es einfach mal schön warm ist – inklusive Sonnenschein. Der eisige Herweg? Vielleicht eine Finte?

Jedenfalls dürfen wir also jetzt nicht nur den schönen Sonnenschein mit tollem Blick ins historische Zentrum genießen, sondern auch noch die hübscheste und leckerste Pizza, Guacamole und Quinoa Suppe überhaupt dazu verspeisen.

Aber es gibt doch sooooo viel…

Wie in Lima und Arequipa liegen auch in Cusco wieder etliche Läden mit Alpaka Klamotten um den Hauptplatz verteilt. Und wie auch in Lima und Arequipa finden wir trotz höchster Kaufmotivation zwischen all dem Angebot doch nicht das richtige Teil. Vertraut aus den vorherigen Ländern ist uns schon, dass die unzähligen Stände und Läden am Ende alle irgendwie doch das Gleiche verkaufen. Es gibt zwar viiiiiiiiiiiiiiieeeeeeeel, aber eben viel Gleiches. Und leider oft auch eher hübsch als praktisch: Die Ärmel am Pullover zu kurz, durchs Daumenloch der Handstulpen passt kein Daumen, die Mützen sehen in der Auslage schick aus, auf dem Kopf albern… Udo findet irgendwann ein paar Stulpen für die Beine, mit denen er ganz happy ist. Lustigerweise wird es am Ende das Paar, das uns farblich am wenigsten gefallen hat. Angezogen sehen sie allerdings super aus.

Willst du es wirklich? :P

Neben dem Einkaufserlebnis brennt uns ein anderes Thema noch viel mehr unter den Nägeln: Die Tour zum Machu Picchu! 

Was wir nicht ahnen: Es könnte kaum komplizierter sein, diese Sehenswürdigkeit zu besuchen. Kein Erlebnis ist bisher so schwierig gewesen zu organisieren. 

Die Webseite online versteht man schonmal gar nicht: Verschiedene Touren, Farben, Zahlen, im Voraus muss gebucht werden, keine Erklärung, alles ausverkauft – NICHT ZU GEBRAUCHEN!

Von einem netten Guide auf der Straße, der super englisch kann, erfahren wir dann auch mal, was hier eigentlich Phase ist. Die Besuche des Machu Picchu haben so Überhand genommen, dass sie inzwischen sehr eng getaktet und reguliert werden. Transport dorthin und Eintrittstickets werden getrennt gebucht. Man hat nur eine Stunde Zeit, um reinzugehen. Wenn man nicht weiß, wann, kann man den Transport nicht buchen. Wenn man den Transport bucht und dann kein Eintrittsticket mehr kriegt, ist auch Mist. Es gibt fünf Farben für die verschiedenen Tickets. Die selben Farben werden auch für die Routen auf dem Gelände verwendet. Hat aber miteinander nichts zu tun. HÄ? DA BLICKT DOCH KEINER DURCH!!! Und dann noch der Transport: Straßen gibt es dorthin keine. Nur Züge. Und die fahren selten und sind immer schnell ausgebucht. Außerdem ordentlich teuer. 

Allein, weil es so kompliziert ist und wir keine Lust haben, den kompletten Tag rumzuorganisieren, buchen wir schließlich bei unserem hilfreichen Guide Everett das Transportpaket. Und nur, weil wir bei ihm den Transport buchen, heißt das noch nicht, dass wir auch reinkommen, denn die Machu Picchu Tickets zu buchen, ist nochmal eine andere Kiste: 

Folgendermaßen lautet der gemeinsam erarbeitete Masterplan: 

In aller Frühe (3:45 morgens, again) mit dem Taxi zum Bus, dann zum Zug und dann nach Aguas Calientes (dem Ort vor Machu Picchu), um morgens um 8 Uhr in der Schlange zu stehen, sich einen Stempel mit einer Nummer abzuholen, die unter den ersten 500 sein soll, damit wir die guten Tickets kriegen, mit dieser Nummer dann nachmittags nochmal kommen, um sich in der eigentlichen Schlange schließlich das Ticket für den nächsten Tag zu kaufen. Puh.

Soweit so gut. Alles läuft super und die Zugfahrt ist der mega Hammer! Sinnliche Musik läuft nebenher, alles ist super organisiert. Es gibt sogar einen Begleittanz zur Einstimmung beim Einsteigen. Die Landschaft, der Zug selber, das Ambiente, Wahnsinn. Direkt am Fluss entlang, durch Dschungel und Felsen, vorbei an Feldern mit Mais, Zucchini, Blumen, dazwischen riesige Agaven und Kakteen mit etlichen Feigen an den üppigen Ohren.

Wir kleben die ganze Zeit an den Fenstern und können uns gar nicht satt sehen. Die Sonne liegt auf den Gipfeln der umliegenden Berge, um die sich ein paar dünne Wölkchen wie zerpflückte Wattebäusche wickeln. Magie in der Luft. 

Fast pünktlich um kurz nach 8 Uhr kommt der Zug an und wir nehmen die Beine in die Hand, um möglichst als erste am Ticketoffice inmitten des Ortes anzukommen. Zu unserer Freude sind nur eine Handvoll Leute vor uns. Die ersten Schritte unserer Mission sind uns schon mal geglückt. Vergnügt warten wir darauf, dass wir dran sind und sind neugierig auf unsere Nummer. Bis mir plötzlich völlig heiß und kalt wird…

ACH DU SCH***E 😱

Anna: Ich hab meinen Reisepass nicht dabei! Ich hab doch die Tasche umgepackt!

Udo: Egal, brauchste doch nicht.

Anna: Doch brauche ich! Es stand im Reiseführer extra dabei, dass man den braucht. Shit. Der ist bei meinen Sachen im Hostel.

Udo: Erstmal sehen, vielleicht geht es ja auch so. 

Nein. Geht es nicht. Morgens um zehn nach acht stehe ich in Aguas Calientes, vier Stunden und 150 € von Cusco entfernt, und kriege gesagt, dass ich ohne Reisepass nicht zum Machu Picchu kann. Mit einem alternativen Dokument ginge es vielleicht, irgendwas mit Namen und Foto drauf. Aber ich habe NICHTS dabei. Auch nach der fünften Nachfrage nicht. Klassischer Fall von Handtasche umgepackt. Schön säuberlich umsortiert und aufgeräumt. Leider dieses Mal ein bisschen zu sorgfältig. Verdammt nochmal. 

Um 14 Uhr ist unser Termin im Ticket Office. Immerhin haben wir die Chance auf gute Tickets. Aber wie wir an diese gelangen sollen, steht in den Sternen. 

Ich bin fix und alle. Tausend Gedanken rasen durch meinen Kopf. Verschieben können wir das Ganze auch nicht: Es wartet ein Anschlussbus nach Bolivien und anstehende Arbeitstermine lassen auch keine Umplanung zu. Wenn wir jetzt nicht zum Machu Picchu gehen, dann gar nicht. 

Das klappt schon, meint mein immer noch tiefenentspannter Freund. 

Aha, und wie? Na ganz einfach: Everett (unser Guide in Cusco) geht zum Hostel, holt den Pass und schickt ihn dann her. 

Klingt machbar. Aber macht der das?

Antwort: Ja, macht er. 

Nach mehreren Gesprächen mit ihm und dem Hostel (ein Hoch auf die eSim, mit der wir überall Internet haben 🙏) kriege ich schließlich irgendwann einen Anruf vom Hostel in Cusco, dass jetzt wer da ist, der was abholen möchte. Ich dirigiere den netten Mann vom Hostel, wo er meinen Reisepass im Rucksack findet und versuche dabei bestmöglich zu verdrängen, dass ich gerade einem Wildfremden in Peru über Telefon meinen Code zum Vorhängeschloss nenne und ihm im Detail erkläre, wie er das Geheimfach im Rucksack und dort drin die Tasche mit Reisepass, Kreditkarten und Bargeld findet…

Es passiert zum Glück nichts Komisches, er übergibt den Pass an Everett und dieser verspricht, ihn rechtzeitig mit dem Zug zu schicken. Morgen früh für den Eintritt habe ich den Pass. 

Sehr gut. Erleichterung macht breit. 

Die verfliegt gleich wieder, als ich erinnert werde, dass ich den Pass nicht erst zum Reingehen, sondern bereits für den Ticketkauf brauche. Also in ca. vier Stunden. 

Der Mann hier vor Ort im Hotel bietet an, dass Everett den Pass einem Bekannten von ihm gibt, der bei der Zugfirma arbeitet. Er ruft Everett an, erklärt alles und Everett scheint unvermittelt aufzulegen. Gespräch und Thema beendet. Mir wird wieder heiß und kalt. 

Wieso legt er einfach auf? Ist er jetzt mit meinem Pass auf und davon? 

Udo schreibt Everett eine Nachricht nach der anderen, dass es wichtig ist, den Pass noch heute zu bekommen. Viel zu lange warten wir dann auf seine erlösende Antwort: “No worries my friends, you’ll get the passport on time.” Wenig später folgt ein Videoanruf, in dem er uns zeigt, dass er gerade das Päckchen mit dem Reisepass an einen Mitarbeiter des Zuges übergibt, der sodann in Richtung Aguas Calientes aufbricht, also zu uns. Jetzt heißt es nur noch warten.

Udo freut sich, weil das bedeutet, dass wir jetzt endlich Zeit haben, um etwas essen zu gehen. Mein Magen ist noch wie zugeschnürt, aber mit zunehmender Entspannung, dem genialen Ausblick vom Restaurant und einem leckeren Pisco Sour wird auch das schnell besser. 

Bis ich schließlich, wie abgesprochen, meinen Pass mit Ankunft des Zuges entgegennehmen kann. 

Es ist unglaublich. Da ist der Everett, ein uns bis gestern völlig fremder Mann, quer durch Cusco zum Hostel gefahren, um meinen Pass zu organisieren und hat ihn dann persönlich zum Zug gebracht – der 2,5 Stunden entfernt ist! Über 4 Stunden Zeit und Aufwand hat er aufgebracht, um mir meinen Pass zu organisieren. Dabei war er komplett freundlich und hat zu keinem Zeitpunkt irgendwie angemerkt, dass er dafür was haben will. Die Rechnung an ihn ist längst bezahlt, theoretisch sehen wir einander nie wieder. Der Wahnsinn, diese Selbstlosigkeit und Unterstützung eines Fremden flashen mich total. 

Mit diesem Flash stellen Udo und ich uns dann gleich mal zwei Stunden in die Schlange, um schließlich unsere super duper coolen Tickets für den Machu Picchu zu kaufen 😂 Ob sich der ganze Stress am Ende lohnen wird, wissen wir nicht. Ich bin auf jeden Fall froh, dass ich uns mit meinem Lapsus nicht den ganzen Besuch hier vermasselt habe. Das wärs noch gewesen…

Wenn sich was lohnt, dann Machu Picchu ♥️

Morgens um halb sieben machen wir uns auf den Weg. Wo die meisten Besucher den gemütlichen 20 Minuten Weg im Bus nach oben wählen, lassen wir uns den großartigen Aufstieg zu Fuß nicht entgehen, auch wenn der anderthalb Stunden dauert. Dann umso lieber, denn das fühlt sich nach der Tour am Colca Canyon an wie ein Klacks. 

Schon der Ort Aguas Calientes hat eine besondere Energie und das ändert sich auch auf dem Weg nach oben nicht. Hier ist es besonders, das ist ganz deutlich spürbar – für uns beide.

Oben angekommen

Die ca. 600 Jahre alte präkolumbianische Stadt Machu Picchu fasziniert ab dem ersten Blick. Die Architektur ist beeindruckend. Präzise bearbeitete Steinblöcke sind ohne Mörtel perfekt zusammengefügt. Die Baukunst der Inkas ist vor allem besonders, weil die Strukturen erdbebensicher und bis heute gut erhalten sind. Und das ganz ohne maschinelle Hilfe, es gab nicht mal Räder.

Als eine der wichtigsten archäologischen Stätten der Inka-Kultur hat Machu Picchu eine enorme kulturelle Bedeutung. Es wird angenommen, dass es möglicherweise als königliche Residenz oder religiöses Zentrum gedient hat. Die genaue Funktion und Geschichte von Machu Picchu bleiben teilweise ein Mysterium, festgehaltene Schriften gibt es keine. 

Dass der Ort eine besondere Energie hat, zeigt sich auch daran, dass wir an der beliebtesten Stelle mit dem berühmten Blick über die ganze Stadt innerhalb von 20 Minuten drei Heiratsanträge miterleben. Jeweils mit Kniefall, Ring und klatschendem Beifall der ungefähr 100 Touristen in nächster Nähe. Sogar ein hochrangiger buddhistischer Mönch aus Tibet gibt sich an diesem Tag die Ehre: Seine buddhistische Heiligkeit Drikung Kyabgön Chetsang, die 37. Reinkarnation des Chetsang Rinpoche (wie wir später im Internet nachlesen). 

Auch wir sind verzaubert von diesem Ort und verbringen hier ungefähr fünf Stunden. Besonders beeindruckt uns der Weg zur Inka Brücke, den wir fast die ganze Zeit alleine für uns haben (hehe, der Vorteil der guten Tickets). Um schnelle Nachrichten- und Transportwege über die Berge zu nutzen, machten sich die Inkas das Andengebirge regelrecht zu eigen. Unfassbar, in welcher massiven Weise sie Wege an den steilsten Felshängen errichtet haben.

Nur der Wetterumschwung und heftige Regenschauer sorgen letztendlich dafür, dass wir irgendwann den Rückweg antreten. Und, dass es auf dem ganzen Gelände keine Toiletten oder Essensmöglichkeiten gibt und die Biologie irgendwann ihren Tribut einfordert.

Eines steht fest: Mit dem Machu Picchu besucht man nicht irgendeinen verlassenen Ort mit ein paar Steinen. Hier besucht man einen magischen Ort voller lebendiger Energie.

Was für ein großartiger Ausklang des Jahres 2023.


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Kommentare

3 Antworten zu „#28 Weltwunder“

  1. Avatar von Renate und Arwed
    Renate und Arwed

    Sehr schon!😍😍

  2. Avatar von Renate und Arwed
    Renate und Arwed

    Toll!! Schöne Aufnahmen, toller Bericht! Der ganze Stress davor( vergessener Pass) hat sich gelohnt! schön, dass es noch solche Menschen wie Everett gibt!🙏🙏
    Euch noch viele schöne Erlebnisse!😘😘

    1. Avatar von Anna
      Anna

      Ja, das war der Hammer! Erinnerungswürdig in jeglicher Hinsicht :)

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