workation Diary

#30 Magische Orte

31.12. La Paz

Nach 14 Stunden Busfahrt erreichen wir La Paz, die Stadt mit dem höchsten Regierungssitz der Welt. Am Anfang der Reise fanden wir acht Stunden im Bus schon viel. Mit der kompletten neuen Staffel Outlander runtergeladen auf Netflix gehen mittlerweile auch lange Fahrten ganz gut 😉

Vom Tal bis die Hänge der umliegenden Berge hinauf erstreckt sich La Paz zwischen 3600 und 4100 Metern. Von Weitem sehen die Ausmaße der Stadt beeindruckend aus. Von Nahem treten andere Eindrücke mehr in den Vordergrund. Der Kulturschock begrüßt mich sogleich, als ich aus dem Bus steige. Armut und niedrige Entwicklung in jede Richtung, in die ich schaue. Kaum eine Hauswand sieht heil aus, die meisten Wände, Oberflächen und Gegenstände sind völlig abgeschrabbt.

Am Busbahnhof sehen wir zum ersten Mal in einer belebten Innenstadt, wie Kinder mit dreckigen, löchrigen Klamotten und zotteligen Haaren auf dem Fußboden spielen. Das Bild fällt besonders auf, da zuvor in Cusco, Peru, die Kinder, vor allem Mädchen, oft sehr schöne Frisuren und Zöpfe mit Haarspangen trugen, die Haare und Kleidung immer gepflegt (zumindest in den Stadtzentren, die man als Tourist zu sehen bekommt). Wo in Lima, Peru, nur in den Außenbezirken die Häuser unverputzt und in oft schlechtem Zustand waren, sich das Stadtbild Richtung Zentrum jedoch völlig zum Positiven änderte, sieht hier in La Paz die gesamte Stadt so aus.

Zu viel mehr Impressionen kommt es an diesem Tag jedoch nicht mehr, da die Höhenluft und die wenigen Stunden Schlaf der letzten Tage nur noch eine Destination zulassen: Das Bett.

Es ist der 31. Dezember. Wir stellen uns für kurz vor Mitternacht einen Wecker, schauen uns vom Fenster im höchsten Stock aus das Feuerwerk an, das hier und da zwischen den Hochhäusern aufleuchtet, wünschen uns ein Frohes Neues und legen uns dann wieder hin.

Kein leichter Start

Die farbliche Tristesse des Stadtbildes hält auch am nächsten Tag an, als wir etwas mehr von der Stadt erkunden. Ziegelfarben und betongrau, wenn Farbe an den Wänden, dann meist rissig und abblätternd. Kaum Bäume, sehr karge Vegetation, hauptsächlich flache Dächer, aber ohne Dachterrassen wie in Panama oder Peru. Es gibt kaum Ecken, wo sich das Auge mit Farbe, Frische oder Schönheit aufladen kann. Im wahrsten Sinne fehlt hier der Lichtblick und meine Stimmung nimmt diese grau triste Energie direkt auf. 

Auch von dem wunderbaren Gastronomieangebot, an das wir uns in Peru sehr schnell gewöhnt haben, dürfen wir uns hier verabschieden. Von vegan, liebevoll zubereitet und mit Blumen Garnitur angerichtet, schwenken wir hier zu lieblos hingeklatscht und trostlos auf dem Teller. Wo sich das Servicepersonal im Nachbarland ins Zeug gelegt hat, uns mit Aufmerksamkeiten umgarnt hat, dass wir es teilweise kaum glauben konnten, blicken wir nun häufig in unmotivierte Gesichter und dürfen mehrfach alle Teile des angebotenen Menüs explizit einfordern, da der eine oder andere Gang sonst einfach nicht kommen würde. 

“Wir müssen hier nicht bleiben, wir können auch weiterreisen”, schlägt Udo vor, als es mir anfangs beim besten Willen nicht gelingt, positive Stimmung aufkommen zu lassen. 

So sehr mein Gemüt in schöner Umgebung aufblühen kann, so sehr kann es ins genaue Gegenteil kippen, wenn die Umgebung wenig Impulse für Schönes bietet. Wir drehen eine Runde durch die Stadt und besuchen die Straße mit dem bekannten Hexenmarkt und vielen Ständen, die erneut Alpaka Klamotten anbieten. Ich kann dem Ganzen im ersten Moment wenig abgewinnen. 

Am nächsten Tag sieht die Lage schon ein bisschen anders aus. Nach dem ersten Schock finde ich hier und da das Flair auf den Straßen sogar ganz sympathisch. Vor allem die enormen Höhenunterschiede von über 1000 Metern innerhalb einer Stadt sind beeindruckend. Einige Stadtviertel sind nur über Seilbahn zu reichen, die immer wieder über steile Felsklippen führt. Und mit ein bisschen Suchen finden wir auf den zweiten Blick auch ein paar ganz schöne Ecken.

Das kenne ich schon von mir: Die Umstellung auf ein neues Land läuft am Anfang häufig ganz schön ruckelig. Vor allem, wenn ich das vorherige Land sehr mochte, wie Peru mit der schönen Stadt Cusco. Der direkte Vergleich lässt sich leider nicht völlig ausblenden. Zum Glück geht die Anpassungsphase meist schnell und so kann ich auch hier in Bolivien schon bald positiver auf die nächsten Tage blicken. 

Denn wir haben ja auch noch was vor: Die größte Salzwüste der Welt besuchen! 

Weiter geht’s

Am Abend nehmen wir einen weiteren Nachtbus, der uns nach Uyuni bringt, den Ort, von dem aus unsere 3-tägige Tour startet. Von einer Dame des Reiseanbieters werden wir direkt abgeholt und zum Frühstück in ein Salzhotel gebracht. Viele Wände und Sitzmöbel sind komplett aus Salz (oder zumindest mit einer dicken Schicht verkleidet), was schon mal cool ist und ein bisschen den ansonsten kargen Eindruck des Ortes wettmacht.

Danach werden wir abgeholt und von einem Agenturbüro ins nächste gefahren, sitzen in drei verschiedenen Autos, wissen überhaupt nicht, was Phase ist, aber finden uns schließlich mit unserer Reisegruppe in einem gut benutzen Jeep wieder. Eine dreiköpfige bolivianische Familie, ein Argentinier, unser Fahrer und wir zwei bilden nun also das Team Salzwüste. 

Mit dem Song Dancing in the Dark geht es ab in die (Salz-)Wüste. Udo sieht schonmal lässig aus mit Sonnenbrille und fliegenden Haaren am offenen Fenster. Als erstes halten wir an einem alten Eisenbahnfriedhof, dem Cementerio. Als wir nach einigen Kilometern, die rechts und links des Weges mit Müll nahezu gepflastert schienen, an unserem Stopp ankommen, stehen dort bereits locker 200 weitere Jeeps. Mit jeweils sechs Passagieren. Es geht also schonmal nicht ganz so exklusiv los, wie wir gehofft hatten. Weiter abseits finden wir aber einige Stellen, die wir ziemlich alleine erkunden können.

Nach einigen Fotos in knackiger Hitze geht es weiter. Auf dem Weg ziehen so krasse Staubwolken über die schotterigen Pisten, dass wir zwischendurch anhalten müssen, weil überhaupt nichts mehr zu sehen ist. Dann entdecken wir die ersten Vicuñas am Straßenrand, im Hintergrund die Berge der Anden und ein schmaler, weiß glitzernder Streifen am Horizont, der bereits die Salzfläche erahnen lässt. 

Salar de Uyuni

Es gibt Plätze auf dieser Welt, die sind so unwirklich, so magisch, dass man kaum glauben kann, selbst dort zu sein, wenn man sie sieht. Im Hochland von Bolivien, auf fast 4000 Metern liegt die Salar de Uyuni, der größte und schönste Salzsee der Erde. 10.000 Jahre alt, mit bis zu 30 Meter dickem Salz und mit mehr als 10.000 Quadratkilometern Fläche ist diese überdimensionale Salzpfanne halb so groß wie Sachsen. Umgeben von rauchenden Vulkanen und bunten Lagunen ergibt die Szene ein surreales Panorama.

Wir haben mega Glück mit dem Wetter: Nach etlichen Regenschauern steht auf der Salzkruste ein dicker Wasserfilm, der für traumhafte Impressionen sorgt. Der Horizont ist häufig nicht mehr zu erahnen.

Sind wir hier noch auf der Erde oder schweben wir schon in den Wolken? 

Mit 10 bis 20 km/h geht es voran. Der hohe Salzgehalt im Wasser ist pures Gift für Unterboden und Motoren. Und nicht nur dafür: Alles, was das Wasser berührt, hat nach dem Trocknen eine dicke Salzkruste, die sich kaum entfernen lässt, selbst bei kleinsten Tropfen. So zum Beispiel meine Kameratasche, die mir blöderweise runterfällt (zum Glück ohne Kamera drin). Und mein langer Rock, nachdem ich rücklings bis zur Hüfte in einem der Salzlöcher (Ojo de Sal) gelandet bin. Ist ja nicht so, als hätte unser Guide kurz vorher direkt darauf gezeigt… 🙈 Den Rock kann ich danach jedenfalls fast hinstellen. Ebenso Udos Klamotten von oben bis unten. Jemand musste selbstverständlich rausfinden, ob man in der Salzsuppe gut rennen kann 😂

Nach einigen zig Kilometern in der Salzwüste und verschiedenen Spots, die spektakuläre Blicke noch und nöcher liefern, beziehen wir das erste Nachtquartier – und zwar wieder in einem Salzhotel, was zu unserer Freude unseren bisherigen Durchschnitt an bolivianischen Unterkünften deutlich nach oben zieht.

Am nächsten Tag geht es dann weiter über die rauen Schotterpisten des Altiplano, das steppen- bis wüstenartige Hochland ab 3500 Metern Höhe, das vom Süden Perus über Bolivien bis in den Norden von Chile reicht. 

Menschen wohnen hier keine, dafür unzählige Vicuñas, die mit ihrer speziellen Fellstruktur zweistelligen Minustemperaturen ebenso trotzen können wie hohen zweistelligen Plusgraden. Mit Africa von Toto aus den Boxen donnern wir durch die Hochebenen. Fenster auf, Wind im Gesicht, riesen Staubwolke hinter uns herziehend. Wir fühlen uns ein bisschen wie auf dem Mond.

Durch hunderte Kilometer reinster Gebirgswüste erleben wir pure Einsamkeit über etliche Stunden. Dann auf einmal taucht ein Ort zwischen den Felsen auf. Mit glatten Felswänden, die als natürliche Hausmauern dienen. Guten Appetit, hier speisen wir zum Mittag.

Frisch gestärkt und vollgetankt mit Sprit aus Kanistern vom Dach – Tankstellen gibt es hier schließlich keine – geht unsere Fahrt in luftigen Höhen weiter. Auf mittlerweile über 4000 Metern mit dem Auto rumzufahren, dabei 6000 Meter hohe Vulkanen am Horizont, passiert uns auch nicht alle Tage. Dagegen erscheint die Zugspitze mit ihren 2962 Metern schon fast mini 😅 In dünner Luft zehn Stunden über Stock und Stein nimmt man aber in Kauf, wenn man zu den ganz besonderen Lagunen im Süden Boliviens will. 

Denn hier erwartet uns das nächste Naturschauspiel: Tausende und abertausende Flamingos, denen der scharfe, eisige Wind nichts auszumachen scheint, der vom Pazifik her über die Anden fegt und nachmittags zum Sturm anschwillt. Hier haut es mich gleich zweimal aus den Latschen: Einmal vom Wind; einmal vor Faszination. Eine Lagune nach der anderen bildet ein neues faszinierendes Ensemble aus Scharen der grazilen Tiere vor atemberaubender Kulisse. Von Flamingo Szenen schießen wir mit Abstand die meisten Fotos, so sehr ziehen sie uns in ihren Bann. Über 500 Bilder aus drei Kameras haben wir am Ende des Tages von den pinken Vögeln, die auf spanisch Flamencos heißen, und können uns kaum entscheiden, welche wir am schönsten finden …

Kaum zu glauben, dass diese zauberhaften Orte auch auf dieser Welt sind. Die Landschaft nimmt alle Hast und alle Eile. Es herrscht pure Entschleunigung. Keine Probleme, keine Sorgen. Nur unendliche Weite und erholsame Stille. Magisch. 

Am Abend kehren wir dann in unsere nächste Unterkunft ein, die den Erwartungen entspricht, die man haben kann, wenn man sich in einer Wüstenregion befindet, in deren Umkreis von sechs Stunden nicht viel ist: nicht viel. 

Dafür erhalten wir nachts einen Blick auf den gigantischsten Sternenhimmel, den man sich vorstellen kann. Ich stehe extra nochmal auf und ziehe mich an, weil Udo mir was ganz Besonderes zeigen will. Sowas von zu Recht! Bei Null Grad Außentemperatur nur gleichzeitig auch ein kurzes Vergnügen.

Den Abschluss unserer Tour bilden Stopps bei einem Canyon, verschiedenen schicken Aussichtspunkten über die Landschaft und ein Besuch bei natürlichen Thermalquellen mit erneut Hammer Ausblick über die Weiten des Hochlands. Passend dazu der Song The Winner takes it all von Abba und Total Eclipse of the Heart aus den Jeep Boxen. Das geht mir tatsächlich direkt ans Herz 🥰

Resümé unserer Tour durch die Salar de Uyuni

Mit Sicherheit gehört unsere 3-tägige Tour durch Boliviens Salzwüste und das Altiplano zu den absoluten Highlights unserer gesamten Reise. Die Impressionen waren teilweise so überwältigend, dass wir wahrscheinlich erst im Nachhinein so richtig realisieren können, was wir alles erlebt haben.

Gleichzeitig verlangt einem so eine Tour auch einiges ab, ein Spaziergang ist es im wahrsten Sinne nicht 😂 Der Vollständigkeit halber hier einige Herausforderungen, die sich zur Tour dazu mischten:

  • Kaum Toiletten auf der ganzen Tour (und wenn, maßlos überfüllt und in entsprechendem Zustand…). Während sich Männer mal eben an den Straßenrand stellen können, ist es für Frauen schon schwieriger, vor allem bei eisigem Wind und auf freier Fläche.
  • 10 Stunden und mehr täglich im Auto auf engstem Raum mit Anderen verharren
  • Essen, wann und was auf den Tisch kommt (wahlweise nur trockener Reis oder trockene Nudeln; beim Fleischteller sind wir raus und Saucen scheinen unüblich zu sein), was einige Wünsche offen lässt 
  • In hinterster Reihe im Jeep sitzen mit so wenig Beinfreiheit, dass die Knie unterm Kinn klemmen. Die Latinos im Auto hatten dankenswerterweise Mitgefühl mit uns Europäern und unseren etwa 20 cm mehr Körperlänge, dass wir die wenigste Zeit auf der Rückbank verbrachten 
  • Stundenlang auf der Ruckelpiste durchgeschüttelt werden
  • Von Minusgraden bei Nacht, über null Grad am frühen Morgen bis hin zu über 30 Grad am Mittag durchleben
  • Strahlende Sonne, extremer Staub, heftiger Regen, eisiger Wind – alles dabei. Aufgeheiztes stickiges Auto drinnen, Eiswind und Kälte beim Aussteigen. Ansage zum Wetter, oder welche Klamotten man braucht: keine
  • Höhenunterschiede von ca. 2000 m von 3000 m bis 5000 m
  • In Bewegung merkt man die Höhe: Die Pumpe geht schon nach 50 Schritten 
  • Ein Tour Guide, der mehr Fahrer als Guide ist. Mit seiner lockeren Einstellung zu Informationsweitergabe und Timing trifft uns die eine oder andere Situation ziemlich unvorbereitet (Stichwort eisiger Sturm) und wir verpassen einige Spots sogar ganz. Die Informationen zu Salzwüste und Altiplano holen wir uns im Nachhinein aus einer Doku in der Mediathek…

Zum Glück merkt man sich ja in der Erinnerung hauptsächlich die guten Dinge und vergisst nach und nach den Rest :P


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Kommentare

2 Antworten zu „#30 Magische Orte“

  1. Avatar von Renate und Arwed
    Renate und Arwed

    Wow! Wunderschön! Die Salzwüste und Flamingos, aber alles andere auch, alles sehr faszinierend! Ihr seid zu beneiden! 😍😍

    1. Avatar von Anna
      Anna

      Vielen Dank. Wir können manchmal selber gar nicht ganz realisieren, was wir alles erleben. Dabei hilft dann der Blog ;)

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